von Karlheinz Reimann, überarbeitet im Januar 2021
Einige Erinnerungen an die Bombardierungen von Chemnitz, die ich mit sechs Jahren erlebt habe, sind mir zeitlebens im Gedächtnis geblieben. Sie haben mich später veranlasst, über die Zerstörung der Stadt zu recherchieren und dies für Nachgeborene aufzuschreiben in der Hoffnung, dass sich eine solche Tragödie niemals wiederholt.
Bereits am 14. Februar ist das Haus meiner Kindheit, Beethovenstraße 46, als einziges in einer größeren Umgebung von einer Sprengbombe getroffen und weitgehend zerstört worden. Zum Glück war von uns an diesem Abend dort niemand anwesend. Auch die Hausbewohner, die sich während des Angriffs im Luftschutzraum aufhielten, haben alle überlebt.
Den Fliegerangriff der Amerikaner am Mittag des 5. März habe ich im Zeisigwald erlebt, als meine Mutter mit mir ihre Schwester besucht hat. Sie wohnte in dem heute unter Denkmalschutz stehenden „Porphyr-Haus“ neben der Einfahrt zu den Steinbrüchen, das der Steinbruchbesitzer Otto 1869 für sich hatte errichten lassen. In einer größeren Gruppe von Menschen, darunter auch einige abgeschossene Amerikaner unter Bewachung - für mich als Kind besonders aufregend, wollte ich doch wissen, wie die Männer aussehen, die die Bomben auf uns abwerfen - suchten wir alle Schutz unter den „Teufelsbrücken“, den gemauerten Bögen am Zugang zu den Steinbrüchen. Welch ein schlimmer Irrtum! Wenn auch nur in der Nähe Bomben gefallen wären und den Erdboden erschüttert hätten, wären wir von den Trümmern der einstürzenden Bögen wahrscheinlich erschlagen worden. Von den Zerstörungen am Mittag in der Stadt haben wir im Zeisigwald nichts erfahren.
Das "Porphyr-Haus" des Steinbruchbesitzers Otto von 1869. Es hatte keinen tiefliegenden Keller, der als Luftschutzraum geeignet war, weshalb wir Schutz unter den "Teufelsbrücken" gesucht haben. (Bild: Karlheinz Reimann)
Die sogenannten "Teufelsbrücken", der Zugang zu den Steinbrüchen, hier von innen her gesehen. (Bild: Karlheinz Reimann)
Später am Abend sind wir mit dem Bus der KVG (Kraftverkehrsgesellschaft) vom Bahnhofsvorplatz nach Kleinolbersdorf gefahren. Es war bereits völlig dunkel, der Busfahrer konnte sicher nur wenig sehen, denn wegen der Verdunkelung mussten die Scheinwerfer bis auf einen schmalen Schlitz abgeklebt werden. Auf der Zschopauer Straße vor den „Neuen Schänken“ musste der Bus über die Cervantesstraße nach Adelsberg ausweichen, denn die Zschopauer Straße war verschüttet. Der rote Ziegelbau der Maschinenfabrik – hier befindet sich heute eine Tankstelle – lag vom Mittagsangriff in Trümmern über die ganze Straße. Über die Hermersdorfer Straße gelangte der Bus wieder auf die Zschopauer Straße, um an der Gaststätte „Erholung“ nach Kleinolbersdorf abzubiegen. Diese Straße war damals noch sehr schmal. Vor der Siedlung Gartenstadt kam dem Bus ein LKW ebenfalls mit abgeklebten Scheinwerfern entgegen. Man konnte nicht aneinander vorbei, die beiden Fahrer diskutierten lange, wer zurückfahren sollte. Meine Mutter entschied, dass wir aussteigen und nach Hause laufen. Wir waren noch nicht an unserem Haus angekommen, als plötzlich über Chemnitz der Himmel hell erleuchtet war – überall Leuchtmarkierungen, die sogenannten „Christbäume“ über dem Zentrum der Stadt. Die Mutter wusste sofort, was das bedeutet: Heute Abend kommt Chemnitz dran! Eilig begaben wir uns in unseren Keller, kurz darauf – es war gegen 20:30 Uhr - fielen die ersten Bomben. Mit großem Bangen erlebten wir hier das dröhnende Krachen und die Erschütterungen bis nach Mitternacht, wie in mehreren Wellen Chemnitz im Bombenhagel in Schutt und Asche fiel. Über 2.100 Todesopfer waren allein aus dieser Nacht zu beklagen. Von 117.000 Wohnungen sind 42.000 zerstört worden. 80% der bebauten Stadtfläche, 140 Kilometer Frontbebauung wurden zu Trümmerbergen. Sechs Quadratkilometer bebaute Stadtfläche brannten nieder und wurden vollkommen zerstört. Es war ein unbeschreibliches Leid, das die Menschen von Chemnitz in dieser Nacht erlitten haben!
Chemnitz, das zerstörte Stadtzentrum 1949. Links der Rote Turm ohne Haube. In der Bildmitte die Kreuzung Theaterstraße, Königstraße (heute Straße der Nationen) und rechts der verkehrsreiche Johannisplatz, einst das pulsierende Herz von Chemnitz mit dem Kaufhaus "Schellenberger" und vielen Geschäften. Hinten von links die Schlosskirche, die beiden Schornsteine des Eltwerkes, die Kuppel des Opernhauses und der Turm der Petri-Kirche. (Bild: Stadtarchiv Chemnitz, mit freundlicher Genehmigung von Dr. Stefan Pfalzer für die "Chemnitzer Geschichten")
Chemnitz, das zerstörte Stadtzentrum 1949. Blick vom Falkeplatz über die Theaterstraße in Richtung Schlossviertel links und rechts zum Zentrum mit Rathaus. Vorn der Chemnitz-Fluss. Links der Turm der Petrie-Kirche, die nach Teilinstandsetzung im April 1961 auf Anweisung der SED gesprengt worden ist. (Bild: Stadtarchiv Chemnitz, mit freundlicher Genehmigung von Dr. Stefan Pfalzer für die "Chemnitzer Geschichten")
Nach dem Ende dieses fürchterlichen Angriffs gegen Morgen ist die Mutter mit mir an der Hand zur Zschopauer Straße gelaufen ist, um auf unser Chemnitz zu schauen. Obwohl es gefroren hatte, war auch außerhalb der vom Feuer glühendrot erleuchteten Stadt die Luft frühlingshaft lau und der neu gefallene Schnee überall mit Rußflocken und verkohltem Papier bedeckt. Viele Menschen, oft mit geschwärzten Gesichtern und Brandgeruch an den Kleidern, die in der Stadt alles verloren hatten und froh waren, noch am Leben zu sein, erreichten in der Morgendämmerung Ortschaften in der Umgebung, um für Tage oder Wochen eine Bleibe zu suchen. Auch meine Mutter nahm damals ein ausgebombtes Ehepaar für zwei Wochen bei uns auf, das uns am Ende der Nacht zum 6. März mit wenigen geretteten Habseligkeiten auf einem Handwagen erreichte. Zwei Tage nach dem Angriff waren in Chemnitz noch immer nicht alle Brände gelöscht.