von Karlheinz Reimann,
geschrieben im Februar 2005
Zu den Bildern meiner Kindheit in Kleinolbersdorf gehört im Winter auch der von Pferden mit Glockengeläut gezogene Schneepflug. Der große, hölzerne, schwergewichtige Spitzpflug, bei dem die Seitenteile in der hinteren Hälfte entsprechend der Straßenbreite mehr oder weniger ausgestellt werden konnten, war von der Gemeinde angeschafft worden. Gemäß Verträgen mit Bezahlung nach Stunden sorgten Bauern des Ortes mit ihren Pferden und diesem Schneepflug dafür, dass die Straßen im Dorf stets offen blieben. Das Bild zeigt einen zweiten, kleineren Schneepflug wahrscheinlich um 1953 mit dem heutigen Haus Pöge im Hintergrund, offensichtlich mit Pferden des Gutes Münzner, das Elfriede und Fritz Fiedler freundlicherweise aus ihrem Fotoalbum zur Verfügung gestellt haben.
Schneepflug um 1953 am heutigen Haus Pöge (Bild: Sabine Voigtmann priv.)
Die Gemeinde war damals selbständig und für alle ihre Belange zuständig. Früh am Morgen musste die Hauptstraße durch den Ort geräumt werden, oben bis zur Zschopauer Straße und im Sternmühlental bis zum Hammergrund. Später – und das war meist erst gegen Mittag – kam der Schneepflug in die Nebenstraßen und die Siedlung Gartenstadt. Niemand beklagte sich damals über die späte Zeit am Tag. Autos, meist mit Holzgasgenerator, waren nach dem Krieg ohnehin eine Seltenheit auf der Straße. Man jammerte nicht, wenn der Bus von Chemnitz wegen der winterlichen Straßenverhältnisse nicht bis ans Ende des Dorfes fahren konnte und schon vor dem Berg am Roschergut wendete. Man stapfte ohne Murren durch den hohen Schnee, es war eben Winter. Die Gelassenheit der Eltern übertrug sich in ganz natürlicher Weise auch auf die Kinder. Schulbus, Übergewicht, Allergie – solche Worte waren in den ersten Jahren nach dem Ende des fürchterlichen Krieges nicht gebräuchlich. Man brauchte weder Fitness-Studio noch Kinderpsychologen. Das Leben drehte sich um Essen, Holz zum Heizen, brauchbare Schuhe und warme Kleidung unabhängig davon, was vielleicht in Amerika gerade Mode sein mochte – man wusste es eh nicht.
Nicht immer gelang es, die Straßen mit dem Pflug freizumachen. Manchmal war der Ortseingang von der Zschopauer Straße her über Nacht meterhoch zugeweht. Wenn der Bus von Chemnitz gar nicht kam, musste man zur Arbeit nach Chemnitz laufen. Manchmal konnte man sich dann auch in der Gemeinde zur Arbeit melden, wurde zum Schneeschaufeln eingeteilt und bekam eine Bescheinigung für die Arbeitsstelle, weiß Fritz Fiedler. Während der Schneekatastrophe im Februar 1970 war die Verbindung zur Zschopauer Straße auf der gesamten Länge eine Woche lang unterbrochen, bis mit einer Planierraupe die Ortsanbindung wieder frei geschoben werden konnte. Auch vom ehemaligen Gemeindegut, heute etwa die Einmündung der Johannes-Ebert-Straße, bis zum Beginn des Roscherberges gab es wiederholt, besonders wohl im Winter 1946/47, meterhohe Schneeverwehungen. Nachdem die Straße freigeschaufelt war, lief man dort wie durch einen oben geöffneten Tunnel ins Dorf – wir Kinder natürlich auf unserem Schulweg am liebsten nicht auf der Straße, sondern wegen der besseren Aussicht hoch oben auf dem aufgetürmten Schnee. Besonders problematisch aber war es, den Weg zum Adelsbergturm über Feldwege in freier Flur zu bahnen und – wenn möglich – bis hin zur Augustusburger Straße frei zu pflügen. Um auch auf Gäste aus dieser Richtung in seinem Ausflugslokal nicht zu verzichten, musste der Turmwirt bei den durstigen und hungrigen Bauern manchmal ein „besonders gutes Wort“ einlegen.