von Karlheinz Reimann,
geschrieben im Juni 2002, überarbeitet im November 2013
Kleinolbersdorf, idyllisch gelegen mit Blick zur Augustusburg von seinen Höhen, in seiner Niederung einmündend in das Sternmühlental, ist ein langgestrecktes Reihendorf wie viele hier im Erzgebirge. Mit Kirche, Schule, Gasthof mit Fleischerei und Kirchweihplatz, Gemeindeamt, Hufschmiede und Stellmacherei (heute abgerissen), alles dicht beisammen in seiner Mitte, hatte es besonders seit 1900 ein kulturelles und wirtschaftliches Dorfzentrum. Im Juni 2002 wurde mit einer Festveranstaltung der Einweihung des Schulgebäudes im Sommer 1902 gedacht, in dem Schülerinnen und Schüler bis heute in fünf verschiedenen Gesellschaftssystemen auf unterschiedliche Weise gelernt haben. Mit der Ansprache zum Schuljubiläum wird ein Rückblick auf 100 Jahre Schule als Spiegelbild des gesellschaftlichen Umfeldes unternommen.
Schulwesen in alter Zeit
Als am 23. Juni 1902 Mädchen und Jungen aus Kleinolbersdorf mit ihrem Lehrer Ludwig zum ersten Mal in das neu erbaute Schulhaus einzogen, war das nicht der Beginn, sondern die Krönung einer fast 400jährigen Geschichte des Schulwesens in Kleinolbersdorf und zu Zeiten auch in Altenhain. Sichtung und Aufbereitung der alten Quellen sind vor allem das Verdienst unseres Ortschronisten Hans Misterek, der 2013 in Altenhain mit 98 Jahren gestorben ist. Für seine akribischen Vorarbeiten, auf die ich mich hier stützen konnte, gebühren ihm besonderer Dank und Erinnerung. Die älteste Nachricht über den Schulunterricht im Kirchspiel Kleinolbersdorf stammt aus dem Jahr 1539 (1). Um dem Schulwesen in Sachsen eine einheitliche Grundlage zu geben, wurde bereits 1580 die „Ordnung des Churfürsten Augusti zu Sachsen" (das war August I., auf dessen Geheiß auch die nahegelegene Augustusburg erbaut worden ist, einer der Vorgänger von August dem Starken) erlassen, in der die Aufgaben der Pfarrherren, Schulmeister und Dorfküster aufgezeigt waren. Bereits damals hatte man an höchster Stelle die Notwendigkeit einer Schulausbildung erkannt. In der Folgezeit kam es aber zu vielerlei Beeinträchtigungen und herben Rückschlägen des gesamten dörflichen Lebens und damit auch des Schulunterrichts, so durch den 30jährigen Krieg von 1618 – 1648, Plünderungen und Epidemien. Im Mai 1639 wurden der Lehrer und 13 Einwohner von schwedischen Landsknechten erschlagen. Nur 29 Menschen waren in Kleinolbersdorf noch am Leben, und etwa 30 Jahre lang wurde kein Schulunterricht erteilt (2). Auch sonst hat mit der großen Not der Bevölkerung das Schulwesen sehr gelitten. Die Kinder besuchten die Schule zeitweise gar nicht oder sehr unregelmäßig, denn sie mussten zur Existenzsicherung der Familien beitragen. 1806 wurde die Schulpflicht für Kinder vom 5. bis zum 8. Lebensjahr eingeführt. Wahrscheinlich mussten die Kinder bereits vom 9. Jahr an mehr in der elterlichen Wirtschaft mitarbeiten und konnten deshalb nicht in die Schule gehen. Unterrichtet wurde in ein oder zwei Klassen. In welchem Haus damals der Unterricht stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Erst 1841 wurde das Gebäude gegenüber der Kirche (heute das Haus der Familie Westermann) gründlich erneuert und als Schule genutzt. Zur Verfügung stand ein Schulzimmer und eine Wohnung für den Kirchschullehrer. Unterrichtet wurden 95 Kinder in zwei Klassen. 1894 erfolgte der Übergang vom 2- auf das 3-Klassensystem. Die Schülerzahl betrug jetzt 134. Seit Mitte der 90er Jahre bis 1904 wurden außerdem jährlich noch etwa 15 Fortbildungsschüler unterrichtet, um für deren Lehrausbildung theoretische Kenntnisse zu vermitteln. Trotzdem die beiden Dörfer Altenhain und Kleinolbersdorf zu einem Kirchspiel gehörten, hat es in der Vergangenheit zeitweilig auch eine getrennte Entwicklung des Schulwesens in Altenhain gegeben. So durfte Altenhain schon 1774 eine eigene Schule eröffnen, die jedoch als „Filial" der Kirchschule in Kleinolbersdorf unterstellt blieb. 1901 waren in Altenhain 154 Kinder und 26 Fortbildungsschüler zu unterrichten, in Kleinolbersdorf waren es 119 Kinder und 14 Fortbildungsschüler. So bestand in beiden Dörfern die Notwendigkeit, ein neues Schulgebäude zu errichten. In Altenhain wurde die neue Schule bereits am 16. September 1901 feierlich eingeweiht.
Über den Bau des neuen Schulgebäudes in Kleinolbersdorf ist in der „Jahreschronik von 1901 der Kirchfahrt Kleinolbersdorf mit Altenhain" (3) folgendes zu lesen: „In Kleinolbersdorf traf Ende Oktober 1901 die Genehmigung des Evang.-luth. Landeskonsistoriums ein, den südöstlichen Teil des Pfarrobstgartens als Schulbauplatz an die Schulgemeinde bzw. das Kirchschullehen zu verkaufen. Nach mancherlei Verhandlungen über die Art der Bauausführung konnten Riß und Anschlag für den Neubau noch vor Weihnachten an die Schulbehörden eingereicht werden, zugleich mit einem Gesuch um Gewährung einer Staatsbeihilfe. Nach vorläufiger Annahme hofft man, das neue Schulhaus bis Herbst 1901 im Rohbau fertigstellen zu können, den Ausbau im Sommer 1902 zu vollenden, so daß etwa Michaelis 1902 Einzug gehalten werden kann. Das neue Schulhaus soll 2 Schulstuben und 2 Lehrerwohnungen enthalten, während im Erdgeschoß noch Wohnung für jemanden vorgesehen ist, der das Reinigen, Heizen usw. der Schulräume zu besorgen haben würde." Wie wir weiter aus der Chronik erfahren, ging nach dieser Planung die Bauausführung recht zügig voran. Im April 1901 wurde die Baugenehmigung der Behörde erteilt, und der Schulvorstand beschloß, das Baugeschäft von Louis Thiele in Chemnitz-Gablenz, von dem auch schon die Pläne angefertigt worden waren, mit der Bauausführung zu betrauen. Am 31. Mai wurde der erste Spatenstich getan und am 20. Juni mit einer kleinen Feier der Grundstein gelegt. Auf dem Bauplatz hatten sich Mitglieder von Schulvorstand und Kirchenvorstand, der Lehrer mit der ersten Schulklasse, der Baumeister mit seinen Gewerken und eine größere Zahl von Gemeindemitgliedern versammelt. Nach seiner Ansprache verlas der Pfarrer die Urkunde, die anschließend mit einigen Münzen des Deutschen Reiches in ein kupfernes Behältnis eingelegt und verlötet wurden. Das Kupferbehältnis wurde in ein Glasgefäß gelegt und dieses in den Grundstein eingemauert, der sich an der südöstlichen Ecke des Schulhauses befindet. Mit Hammerschlägen und Sprüchen wie dem von Kirchenschullehrer Ludwig „Möge der auf diesem Grundsteine auszuführende Bau sein und bleiben eine Pflanzstätte der Gottesfurcht, der Kinderzucht und der Vaterlandsliebe" und einem Schlussgesang wurde die Grundsteinlegung beendet. Bis zum Herbst wurde das Haus im Rohbau fertiggestellt und unter Dach gebracht. Vor Einbruch des Winters konnten auch die Erd- und Planierungsarbeiten abgeschlossen und der hölzerne Umfassungszaun errichtet werden. Der Baumeister war durch Vertrag verpflichtet, den Bau spätestens am 30. Juni 1902 vollständig zu übergeben.
Dies geschah jedoch schon früher, so dass die feierliche Einweihung des neuen Schulgebäudes bereits am 23. Juni 1902 erfolgen konnte. Unter Glockengeläut zogen die Teilnehmer in einem Festzug, voran die Schulkinder, von der alten zur neuen Schule. Vor der Eingangstür übergab Baumeister Thiele den Schlüssel des neuen Schulhauses, der vom ersten Mädchen auf einem Kissen getragen wurde, an die Königliche Bezirksschulinspektion. Diese händigte den Schlüssel mit herzlichen Wünschen an den Vorsitzenden des Schulvorstandes aus. Mit seinem Spruch „Gottes Gnade ruh´ auf diesem Haus! Reicher Segen gehe von ihm aus!" wurde das neue Schulgebäude seiner Bestimmung übergeben.
Natürlich spielte auch damals für ein solches Vorhaben das notwendige Geld eine entscheidende Rolle. Im Februar 1901 war eine Staatsbeihilfe von 5.000 M für den Schulhausneubau bewilligt worden, über die Gewährung einer laufenden Staatsbeihilfe sollte nach Fertigstellung des Baues entschieden werden. Kurz vor Weihnachten traf ohne Nachsuchen auf Befürwortung der Königlichen Schulbehörde eine einmalige, außerordentliche Staatsbeihilfe von 200 M für Kleinolbersdorf und 300 M für Altenhain ein. In der Chronik heißt es dazu: „Dieser unerwartete „heilige Christ" ward mit dankbarer Freude entgegengenommen." Im Dezember wurde das bisherige Schulgebäude (heutiges Haus Westermann) gegenüber der Kirche mit dem dazugehörigen Garten gegen Höchstgebot verkauft und 1902 nach Fertigstellung des neuen Schulhauses an den Käufer, einen Schuhmacher Leberecht Kunze übergeben. Zur Deckung der Baukosten ist mit Genehmigung der Königlichen Schulinspektion eine in 41 Jahren tilgbare Anleihe bei der Landesversicherungsanstalt des Königreiches Sachsen aufgenommen worden. Die Gemeinde war jetzt mit 65.000 M verschuldet.
Wie sah im Kaiserreich der Schulbetrieb in der neuen Schule aus?
Neben dem bis dahin einzigen Lehrer Ludwig, der nun auch den Titel „Kantor" führen durfte, wurde noch ein Hilfslehrer bewilligt, der im Oktober 1902 seine Tätigkeit aufnahm (1). In zwei Klassenzimmern mit Ofenheizung waren 119 Kinder zu unterrichten: 50 in Klasse I (heute die Klassen 6,7,8), 41 in Klasse II (Klassen 3,4,5) und 28 in Klasse III (Klassen 1 und 2). Unterrichtszeit war im Sommer von 7 bis 12 und von 13 bis 16 Uhr, im Winter von 8 bis 13 und von 14 bis 17 Uhr, wobei für die Jüngeren der Unterricht erst später am Vormittag begann. Die Lehrer waren stark belastet, sie hatten bis zu 40 Wochenstunden Unterricht zu erteilen. Über Schülermangel konnte man sich damals wahrlich nicht beklagen, und die Ganztagsschule - wenn auch keine Ganztagsbetreuung - war kein Diskussionsthema, sondern eine Selbstverständlichkeit (4).
Wie in jeder weiteren Epoche, so war auch die Schule im Kaiserreich eingebettet in die wirtschaftliche und politische Situation im damaligen Deutschland. Vorangegangen war nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der Gründung des Deutschen Reiches eine stürmische industrielle Entwicklung – die sogenannten Gründerjahre. Um die Jahrhundertwende führten mehrere große Innovationen zu einer bemerkenswerten Weiterentwicklung der äußeren Lebensbedingungen: Es gab eine weitgehende Elektrifizierung, das Eisenbahnwesen hatte einen guten Entwicklungsstand erreicht, die ersten Motorwagen kamen auf die Straße, man konnte jetzt telefonieren, die Anfänge des Funkwesens entstanden, man baute riesige Schiffe und unternahm Flugversuche, über manchen Geschäften prangte in großen Lettern „Kolonialwaren", und als ersten zaghaften Schritt in das Informationszeitalter erreichten Zeitungen eine große Zahl von Lesern. Natürlich hatten die verschiedenen Stände des Volkes sehr unterschiedlichen Anteil an diesen Verschönerungen des Lebens. Für die Arbeiter war es noch ein weiter Weg bis zum 8-Stunden-Arbeitstag, Abschaffung der Kinderarbeit, Erleichterung der Frauenarbeit, besserer Entlohnung sowie verbesserter Wohn- und Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen. Neben den Sozialistengesetzen zur Bekämpfung der Sozialdemokratie war die Einführung mehrerer Sozialversicherungen durch Bismarck ab 1883 ein positiver, wenn auch unzureichender Schritt aus dem Paket „Zuckerbrot und Peitsche" (5). Letztlich aber war das für viele eine stabile und bessere Zeit – jedenfalls im Vergleich zu den folgenden Jahrzehnten mit Krieg, Inflation, Massenarbeitslosigkeit und wieder Krieg – und Deutschland auf dem Weg zu einer Weltmacht (6). Aber auch ein Nationalismus wuchs auf diesem Boden, ein falsch verstandenes oder leichtfüßig falsch interpretiertes „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt", ein Nationalismus, der später in Deutschland zu verheerenden Auswirkungen führte (7).
Das alles stellte auch höhere Anforderungen an die Schule. Mit Beginn des neuen Jahrhunderts haben sich Inhalt und Umfang des Unterrichts erheblich verändert und weiter entwickelt. Durch bessere räumliche und personelle Voraussetzungen konnten natur- und geisteswissenschaftliche Kenntnisse verstärkt auch in den Volksschulen vermittelt werden. Im Laufe der Zeit nahmen Anzahl der Fächer sowie Anzahl und Qualifikation der Lehrer zu. Hinsichtlich der Geisteshaltung in der Schule der Kaiserzeit standen vaterländische, autoritäre Erziehung zu eiserner Disziplin, vormilitärische Ausbildung, Sekundartugenden wie Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit im Mittelpunkt (8). Man paukte die Lebensdaten der kaiserlichen Familie, und der Tag des Sieges über die Franzosen bei Sedan am 1. September wurde alljährlich als Volksfest begangen, so dass jedes Kind wusste, was es damit auf sich hatte. In ihrer Eigenschaft als Kirchschule spielten religiöse Inhalte im Unterricht eine große Rolle, und die Kirche vermittelte den Kindern nicht ohne Erfolg ethisch-moralische Werte. Werte, wie in den Zehn Geboten formuliert, und wie wir sie in der Gesellschaft von heute oft vermissen. Im November 1906 wurde Kantor und Lehrer Ludwig nach 25 Jahren Tätigkeit verabschiedet. An seine Stelle trat zu Ostern 1910 der aus Ostpreußen stammende Oberlehrer Emil Adolf Müller. Er war 35 Jahre lang die absolute Respektsperson in der Kleinolbersdorfer Schule, aber hinter seinem Rücken nannten ihn Generationen von Schülern den „Kohl-Emil" ("Red´ kein´ K-Kohl, hinsetzen!", hieß es bei ihm immer wieder).
Hinter den Kulissen dieser stabilen und besseren Zeit gab es jedoch mehrmals die Gefahr kriegerischer Konflikte. Zunächst starben nur zwei Menschen, das österreichische Thronfolgerpaar, durch die Kugeln eines serbischen Attentäters. Danach begann am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg. Der deutsche Kaiser kannte plötzlich keine Parteien mehr und rief "Auf zu den Waffen!" Mit Blumen am Gewehr und fest im Glauben ging es ins Feld, dem Erbfeind Frankreich entgegen, zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause - so glaubte man. Auf dem Koppelschloss stand „Gott mit uns", man segnete Heere und Waffen, betete für den Sieg über den Feind, oft die Würdenträger der gleichen Kirche, das gleiche Ritual auf beiden Seiten der Front, nur in verschiedenen Sprachen. Vier Kriegsweihnachten gingen ins Land, der Krieg forderte bis dahin unvorstellbare Opfer. Während der Kohlrübenwinter wurde es nicht nur kalt in den Schulstuben, die Kinder litten auch entsetzlich Hunger und viele wurden krank. Schon seit März 1915 musste Oberlehrer Müller allein unterrichten, denn der Hilfslehrer war eingezogen worden. Angesichts der bevorstehenden Niederlage Deutschlands machten im November 1918 aufständige Matrosen, Soldaten und Arbeiter dem Krieg ein Ende, der Kaiser musste abdanken und die Toten wurden gezählt. Es waren nach heutigen Erkenntnissen neun Millionen gefallene Soldaten und fünf Millionen tote Zivilisten.
Aus unserer Kirchgemeinde sind 24 junge Männer im Krieg geblieben. Ihre Namen stehen auf der Gedenksäule vor der Kirche. Namen, an die sich heute nur noch wenige erinnern können. Kinder der Schuljahrgänge 1902 bis 1906 aus Kleinolbersdorf und Altenhain, deren Leben so früh zu Ende gegangen ist. Worum aber hat man in diesem Krieg eigentlich gestritten, wofür wurde gekämpft und gestorben? Eine zutreffende Antwort fällt später schwer. Nach einhundert Jahren sind Historiker der Meinung, der Krieg hätte damals auch vermieden werden können. Das muß nicht heißen, dass man daraus gelernt hätte. Das Ende dieses Krieges mit seinem Abschluss des Friedens in Versailles gebar später den Beginn eines neuen Krieges.
Schulwesen in der Weimarer Republik
Nach dem Ende des Krieges begann eine neue geistige Epoche für die Schule in der Weimarer Republik. Sie war besonders gekennzeichnet durch eine Trennung der Befugnisse von Kirche und Staat. Ab 1919 hörte die Zugehörigkeit des Pfarrers zum Schulvorstand auf. Die Kirchschulen wurden immer mehr zu Volksschulen umgebildet. Auch brauchten die Eltern ab 1919 für die Kinder in den Volksschulen kein Schulgeld mehr bezahlen. Übte noch bis 1921 der Pfarrer die Ortsschulaufsicht aus, so verlor mit dem Gesetz über die Aufhebung der Schulgemeinden vom 11. Juli 1921 die Schule in Kleinolbersdorf ihren jahrhundertealten Status als Kirchschule. Oberlehrer Müller war nun kein Kirchschullehrer mehr, übte seine Lehrertätigkeit aber auch nach der Verstaatlichung aus. Später kam Lehrer Alfred Schreiber aus Euba hinzu, beide wohnten über viele Jahre in der Schule. Die Älteren erinnern sich noch an Emils Hühnerzucht im heutigen Schulgarten, und dass das damalige Sportgerätehäuschen ehemals Lehrer Schreibers Autogarage war. Ostern 1938 nahm auch Lehrer Eugen Biener, der vorher in der Bernsdorfer Schule in Chemnitz unterrichtet und in der Siedlung Gartenstadt gewohnt hat, seinen Schuldienst in Kleinolbersdorf auf.
Aber auch sonst kam in den zwanziger Jahren geistig frischer Wind in die Schule. Begriffe von zentraler Bedeutung waren jetzt: Reformpädagogik, Methodenvielfalt, freier Gesamtunterricht, Pädagogik vom Kinde aus, Wochenplanarbeit, Zupfgeigenhansl, Wandervogel, Reformbewegung vom Reformhaus bis zum FKK (8). Die Wandervogelbewegung hatte mehrere 10 000 Mitglieder, bei denen der Genuss von Alkohol und Nikotin verpönt waren. Materiell hat sich in dieser Zeit in der Schule wenig verändert. Die Familien litten schwer unter der Inflation. Die Arbeiter waren schon am nächsten Morgen um ihren Tageslohn von heute geprellt, der Mittelstand wurde faktisch enteignet, die hohen Kriegslasten auf das Volk abgewälzt. Stefan Zweig hat später geschrieben, nichts habe das deutsche Bürgertum so für Hitler reif gemacht, wie die Inflation von 1919 bis 1923 (6). Danach folgten die Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und gewaltige politische Richtungskämpfe zwischen der kommunistischen Arbeiterbewegung und den immer energischer auftretenden Nationalsozialisten. Da hofften auch viele Arbeiter auf den starken Mann, der das Chaos beendet und sie wieder in Lohn und Brot bringt. Auch in hiesigen lokalen Zeitungen vom 30. Januar 1933 – dem Tag der „Machtergreifung" - überschlug man sich in Aufbruchstimmung und mit Lobesgedichten auf den Führer.
Die Schule während des Dritten Reiches
Im geistigen Leben der Schule wurde die Machtergreifung Adolf Hitlers sofort zu einer Zäsur. Seine Vorstellung von Erziehung – bereits 1933 geäußert (9) - mag uns noch heute erschrecken: „...Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene Jugend will ich...Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen... Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend"... Erziehung zu „hart wie Kruppstahl", „zäh wie Leder", und „flink wie Wiesel" (8). Die Ideologisierung des gesamten öffentlichen Lebens machte auch vor der Schule nicht Halt. „Führerprinzip", „Rassengedanke" und „Volk ohne Raum" waren geistige Stützpfeiler der Schule im Dritten Reich. Erziehungsaufgaben lagen teilweise außerhalb der Schule: Bei den Pimpfen, bei der Hitlerjugend (HJ) und beim Bund deutscher Mädchen (BDM). „Das morgendliche Grüßen mit erhobenem Arm und Hitlergruß war selbstverständlich. Die Lehrer erschienen an Staatsfeiertagen in SA-Uniform. Es gab Ausnahmen, sowohl bei Schülern als auch bei Lehrern, aber sehr wenige", so berichtet die frühere Redakteurin der "Tribüne" und heutige Rentnerin Frau Eisenträger - die Crauel Ilse aus dem Schuljahrgang 1937. Wir danken ihr für das aufschlussreiche Stimmungsbild ihrer Schulzeit bis 1945 in Kleinolbersdorf (10). Ihr Fazit: „..dennoch, wir hatten eine schöne, unbeschwerte Kindheit, und unser schulisches Leben verlief normal, mit Höhen und Tiefen... Was hat uns die Schulzeit in unserem Dorf gegeben, abgesehen von Fähigkeiten im Kopfrechnen, beim Geschichtszahlen aufsagen und beim Strümpfestopfen? Aus uns allen ist etwas geworden... So gesehen können wir unserer Kleinolbersdorfer Schule im 100. Jahr ihres Bestehens bescheinigen: Sie hat ihr Werk getan, und sie hat es gut getan." In einer kleinen Dorfschule konnten die Lehrer sicher manche der dramatischen Vorgaben abgemildert umsetzten, wenn sie es denn wollten.
In den Sommerferien 1936 wurde die Ofenheizung in den einzelnen Schulzimmern durch den Einbau einer Zentralheizung ersetzt. Und etwa in dieser Zeit muß auch Lehrer Schreiber aus der Schule in das Gemeindehaus umgezogen sein, so dass ein drittes Schulzimmer im Obergeschoß eingerichtet werden konnte (11). Frau Eisenträger schreibt aber auch: „Wir waren Kinder des Dritten Reiches, und wir waren Kriegskinder. Der Krieg gehörte sechs Jahre unserer achtjährigen Schulzeit zu unserem Alltag. Er war nicht allgegenwärtig und für uns Kinder eben nicht das Besondere, das Schreckliche wie sicher für unsere Eltern. Der Krieg gehörte zu unserem Kinderleben, und er gehörte zu unserem Schulgeschehen. Jeder Aufsatz endete mit der Floskel: Wir müssen und wir werden siegen! Schrecklich wurde es erst, als Anfang 1945 die ersten Bomben auf Chemnitz fielen. Auch unser Dörfchen wurde getroffen. Unsere Generation schreckt noch heute bei Sirenengeheul zusammen." Nach den schweren Bombenangriffen auf Chemnitz vom 14. Februar mit Todesopfern in Altenhain und der enormen Zerstörung von Chemnitz am 5. März ist der Schulbetrieb in Kleinolbersdorf eingestellt worden. Im April schossen Tiefflieger auf alles, was sich außerhalb bewegte, auf Autos auf der Zschopauer Straße, die unter einem blühenden Apfelbaum keine Deckung fanden, und auf den Bauern mit seinen Pferden bei der Feldarbeit – da konnte sich niemand auf einen Schulweg herauswagen. In der Schule war ein Wehrmachtslager für Lebensmittel eingerichtet worden: Brauner Zucker, Kakaobohnen, Quark, Tabakwaren und ähnliches. Diese wurden später unter den Dorfeinwohnern verteilt. So endete unsere Schule im Dritten Reich. Unter den fast 100 umgekommenen Soldaten aus unseren Dörfern im Zweiten Weltkrieg waren viele ehemalige Schüler aus Kleinolbersdorf und Altenhain. Pfarrer Göbel hat zum Gedenken an sie in der Kirche eine Sammlung von Gedenkblättern angelegt, von der jeweils das am Tag aktuelle Blatt aufgeschlagen wurde – eine mutige Tat sowohl bis zum Kriegsende als auch danach.
Unsere Schule nach dem Ende des Krieges und in der DDR
Nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes und der Besetzung durch die Rote Armee im Mai 1945 war bis zum Herbst kein Schulbetrieb zugelassen. Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD) wurde am 1. Oktober der Unterricht wieder aufgenommen (1). Zur ersten Klasse nach dem Krieg gehörten etwa 18 Kinder, darunter auch ich. Eine Schulanfangsfeier mit einem kleinen Programm, gestaltet von einer vorhergehenden Schulklasse, gab es schon. Aber eine Zuckertüte hatten die meisten Schulanfänger nicht. Was hätten die Eltern da auch hineinlegen können? Ich erinnere mich, dass jeder Schulanfänger aus den Beständen des Wehrmachtslagers 1kg braunen Zucker und 1kg Quark erhalten hat. Beides war in braunes, grobfasriges Packpapier eingewickelt, und wir waren heilfroh, dass das vom Quark durchweichte Packpapier bis nach Hause durchgehalten hat.
Zunächst hatten wir noch die alten Lehrer - und auch den Rohrstock, der nicht nur als Zeigestock, sondern gelegentlich auch zum Schlagen auf die Hände der Kinder benutzt wurde. Mein Klassenlehrer war Willy Austel, und Lesen gelernt haben wir bis Anfang 1946 bei Lehrer Eugen Biener (12). Dann wurden nach einem Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zur Säuberung des gesamten Erziehungs- und Schulwesens alle Altlehrer entlassen (1). Zu den ersten Neulehrern zählten Charlotte Fichtner - jetzt unsere Klassenlehrerin - sowie Kurt Biener und Helmut Goldammer. Den Rohrstock gab es jetzt nicht mehr, aber Schläge ins Gesicht der Kinder als Strafe für Ungezogenheiten, unerledigte Hausaufgaben oder eine vergessene Unterschrift der Eltern, öfter bei den Jungen, seltener bei einigen Mädchen, gehörten durchaus noch zum Stundenablauf in der Schule und wurden erst mit Helmut Goldammer als Schulleiter und den weiteren Neulehrern abgestellt. Zunächst kamen Elisabeth Arnold /heute Frau Lorenz und Ruth Jäger, später Günter und Hanna Goldammer hinzu. Bei Fräulein Arnold hatten wir neben Deutsch und Rechnen nicht nur Singen, sondern erstmals echte Musiklehre. Tontechnik gab es damals in der Schule nicht, und so hat sie uns die Arie der Mimi aus Puccinis Boheme vorgesungen - in der Klasse war es absolut still, wir waren sehr beeindruckt. Mit Fräulein Jäger - damals war für eine junge, unverheiratete Frau diese anmutige Anrede zwingend - begann ein hervorragender Russischunterricht, und mit Herrn Goldammer wurde ein sehr niveauvoller Unterricht in den Fächern Physik und Chemie aufgebaut. Mehrere neue Klassenzimmer, darunter auch speziell für die experimentellen Fächer, konnten eingerichtet werden. Die Schule war anfangs 6-stufig, nur zweimal wurden zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet.
Schule Kleinolberdorf, Klassenzimmer mit Schuldirektor und Lehrer Helmut Goldammer 1950 (Bild: Karlheinz Reimann)
Der Neuanfang war schwer. Mangel an allem, Hunger und Kälte prägten den Alltag. Die neuen Schulbücher waren knapp, Schulhefte wurden auch aus Schreibpapier zusammen geheftet. Später klapperte am Schulranzen der Suppentopf, denn so halb zehn gab es eine Kelle Mehl- Grieß- oder Haferflockensuppe aus der Schulspeisung oder manchmal auch ein Brötchen. Mit Gymnastik kämpfte man im Winter gegen die Kälte in den Klassenzimmern an. Eine Zeitlang wurde ein Schüler täglich auf dem Schlitten zum Unterricht mitgenommen, weil er keine Winterschuhe hatte. Es war damals selbstverständlich, den Schulweg zu laufen. Trotzdem es bis in die fünfziger Jahre an allen Ecken und Enden fehlte, brachten die Lehrer mit viel Kraft und Improvisation den Schulbetrieb immer besser zum Laufen. Lehrerin Ruth Jäger hat uns in ihrem Rückblick interessante Begebenheiten aus ihrer Tätigkeit in diesen Jahren berichtet (13). Es wurde nicht nur intensiv gelehrt und fleißig gelernt, es gab auch Schulfeste mit Sackhüpfen und Eierlaufen auf der Sternmühlwiese, mit Kletterbaum, Vogelschießen und dem Harnich-Schuster als Bonbon-Mann auf der Wiese am Finsterbuschgut, sowie Ferienlager am Adelsbergturm, in Dresden oder in Rechlin an der Müritz. Damals war es schon ein Riesenproblem, die Kinder mit LKW über solche Strecken zu transportieren.
Klasse 3 mit Lehrerin Ruth Jäger 1949 vor der Schule Kleinolbersdorf. Drei Jungen in der vorderen Reihe waren barfuß in die Schule gekommen, was damals nicht ungewöhnlich war. (Bild: Elfriede Reimann)
1952 wurde die Zentralschule Kleinolbersdorf-Altenhain gebildet und Lehrer Wolfgang Matthes übernahm bis 1984 als Direktor die Leitung der Schule. Diese Funktion hat Lehrerin Ursula Lipp dann bis 1992 weiter geführt. Die Klassen 1 bis 3 wurden in Altenhain unterrichtet. Johannes Müller war ein Lehrer mit großem Geschick und unendlich viel Geduld für die Kleinen der ersten Klasse. Die Klassen 4 bis 8 gingen in die Schule Kleinolbersdorf. Zwischen Kleinolbersdorf und Altenhain fuhr jetzt ein Schulbus. 1979 wurde die Zentralschule in eine Polytechnische Oberschule mit 10 Klassen aufgestockt, wobei die Klassen 9 und 10 in Karl-Marx-Stadt unterrichtet wurden. Viele Lehrer wären noch zu nennen, die im Laufe der Zeit bis 1992 an unserer Schule tätig gewesen sind. Sie sind in einer gesonderten Aufstellung in der Dokumentation zu unserer Schule aufgeführt.
In den 70er Jahren gab es erstmals große Sorge um den eigenständigen Fortbestand unserer Schule, der kleinsten im Landkreis Karl-Marx-Stadt. Diskutiert wurde die Zusammenlegung mit der Schule Euba, und schnell wurde argumentiert: Keine Mark mehr für diese Schule in Kleinolbersdorf! Dringend benötigte Mittel für Investitionen wurden jahrelang zurückgehalten. Bei tieferer Betrachtung stellte sich aber heraus, dass für eine Zusammenlegung der beiden Schulen die vorhandenen Klassenräume zu klein waren und der ständige Wechsel von Fachlehrern und Schülern zwischen Kleinolbersdorf und Euba auf Dauer nicht zu bewältigen war. Die KAP-Straße zum Adelsbergturm war damals weder hinreichend ausgebaut noch im Winter ihre Beräumung für die Anforderungen der Schule gesichert (12). Vor diesem Hintergrund gelang es, eine andere Entscheidung zu erstreiten: 1983/84 wurde der Schulanbau realisiert und die Schule in Altenhain konnte aufgegeben werden. Zwar ist die architektonische Anpassung an den vorhandenen Baukörper - dem chronischen Mangel an Material und Kapazität in dieser Zeit geschuldet - weniger gut gelungen, und aus der Feder von Louis Thiele wäre ein solcher Aufriss zur Erweiterung seines Schulgebäudes sicher nicht einmal auf das Papier gekommen. Aber innen standen jetzt schöne und gut ausgestattete Räume für alle 10 Klassen zur Verfügung. Damit hatte die Kleinolbersdorfer Schule im Sozialismus der DDR ihre höchste Blüte erreicht und ihr Fortbestand war trotz kleiner Klassenstärken gesichert.
Die Geisteshaltung der sozialistischen Schule in der DDR hat im Laufe der vier Jahrzehnte erhebliche Wandlungen erfahren. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges mussten zunächst im gesamten Schulsystem das nationalsozialistische Gedankengut ausgemerzt und alle Anstrengungen auf einen Wiederaufbau im Frieden gerichtet werden. Das sprach den Menschen aus dem Herzen, fand ihre ungeteilte Zustimmung. Deutschland war noch nicht geteilt, die Menschen in Ost und West noch nicht in Konfrontation gedrängt. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten und der Eskalation des Kalten Krieges zwischen den Machtblöcken entwickelte sich aber sehr bald eine zunehmende Ideologisierung, die auch wieder tief in die Schule eingriff. Bald gab es Junge Pioniere, den Pioniergruß mit angewinkeltem Arm, Fahnenappell, eine Freie Deutsche Jugend, Spiele und Organisationen zur vormilitärischen Ausbildung. Allmählich entstand ein Feindbild, zu dem auch die westdeutsche Bundesrepublik zählte, und in ihr unsere Verwandten und Landsleute auf der anderen Seite des geteilten Landes. Jetzt hieß es, „einen gesunden Klassenhass" zu erziehen, die Lehrer sollten sich bewusst sein, dass sie „Beauftragte des Staates" sind, und unter Toleranz verstand man „wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Nicht alle Lehrer haben sich dieser ideologischen Denkweise verpflichtet gefühlt, viele haben sich auf einen guten fachlichen Unterricht zurückgezogen. Unter den Ausreiseantragstellern in den späten Jahren der DDR war der Anteil von Lehrern erheblich. Aber Lehrer für Staatsbürgerkunde oder Wehrerziehung konnten zur Erfüllung ihres "Auftrag des Staates" ohne Feindbild nicht auskommen. Um Nachteile zu vermeiden, bildeten sich viele Schüler eine angepasste Meinung für die Schule und eine glaubwürdige für sich – die Erziehung zu zwei Gesichtern wurde wieder geübt. Abschottung vom Westen und das Eingemauertsein haben viele Menschen sehr bedrückt. Als die Parteiführung – selbst zu Reformen nicht mehr imstande - sich auch noch vom Reformkurs der Sowjetunion abgrenzte, war es trotz krankhafter Übersteigerung der Sicherheitsdoktrin mit dem Siegenlernen der kleinen DDR vorbei. Die Unterrichtsfächer Staatsbürgerkunde und Wehrerziehung waren bereits von ihrer Einführung an heftig umstritten, weshalb aufbegehrende Eltern, Schüler und auch Lehrer gemeinsam mit Pfarrer Lothar Popp im Herbst 1989 forderten, diese Fächer wie auch Pioniergruß und Fahnenappell abzuschaffen und das Kriegsspielzeug aus dem Kindergarten zu entfernen. Stefan Heym beschrieb die Situation sehr treffend mit dem Satz: „Es war, als ob jemand ein Fenster aufgestoßen hätte" (14).
Das Schulsystem in der DDR hatte aber auch Vorzüge, die man sich heute wünschen würde. So hatte ein Abitur den gleichen Wert und die gleiche Anerkennung, egal ob es in Rostock, Jena oder Dresden abgelegt worden ist. Auch bei Abschlussprüfungen war landesweit ein objektiver Leistungsvergleich möglich, weil die Prüfungsaufgaben gleichzeitig an allen Orten den verschlossenen Briefumschlägen entnommen wurden. Die Schule in der DDR hat durchweg disziplinierte Schülerinnen und Schüler mit soliden Kenntnissen in den Grundfächern Lesen, Schreiben, Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern Biologie, Physik und Chemie ins Leben entlassen, die durch Praktika in Betrieben gut für eine berufliche Ausbildung gerüstet waren und sich von daher nirgendwo benachteiligt zu fühlen brauchten. Viele junge Menschen aus der DDR-Schule haben haben nach der Wiedervereinigung auch in den alten Bundesländern oder im Ausland sehr erfolgreich ihren beruflichen Weg beschritten und ihr persönliches Glück gefunden. Die Defizite der Schule in der DDR lagen neben der politischen Indoktrination vor allem in der schwerlastig auf Russisch ausgerichteten Sprachausbildung und der ideologisch verfälschten Geschichtsvermittlung. Das aber war im weiteren Leben durch eigenes Bemühen gut zu korrigieren, wenn man es wollte.
Unsere Schule im wiedervereinigten Deutschland
Mit den politischen Veränderungen nach der Wende zur Liberalisierung der Schule wurden diesmal nicht alle Lehrer pauschal entlassen, es gab Einzelfallprüfungen. Aber auch aus anderen Gründen konnten nicht alle Lehrer bleiben, denn mit der Schulreform in Sachsen 1992 wurde unsere Schule aufgrund der vorhandenen Schülerzahl auf eine Grundschule der Klassen 1 bis 4 zurückgestuft. Rita Strauß, ehemals selbst Schülerin und seit 1971 Lehrerin in Kleinolbersdorf, war seit 1992 auch Leiterin der Schule, und Simone Uhlig war damals schon seit über 10 Jahren hier als Lehrerin tätig. Geburtenschwache Jahrgänge und die Wahlfreiheit zugunsten anderer Schulen wurden nun zum größten Verhängnis für das weitere Bestehen der Schule. Durch den im Land eingeschlagenen Sparkurs wurden Existenzkrisen der Schule fast zum ständigen Begleiter. Lehrer, Eltern und Schüler, ein Schulverein, der Ortschaftsrat und engagierte Einwohner - darunter viele ehemalige Schüler - kämpften um den Fortbestand „ihrer" Schule. Besonders kritisch waren die Jahre 1995 und 2000. Mit Unterstützung von Oberbürgermeister Dr. Seifert konnte zur Überbrückung der „Durststrecke" ein Kompromiss mit der Grundschule Euba gefunden werden. Durch die zaghaft wieder zunehmende Zahl von Kindern ist für die Grundschule Kleinolbersdorf eine Perspektive in der Schulnetzplanung nun bis 2010 (inzwischen auch darüber hinaus) gesichert. Damit können die ausgezeichneten Lernbedingungen an unserer Schule erhalten werden. Wer nach einer ziemlich heilen Welt an einer Schule sucht - hier kann er sie noch finden! (Seitdem Rita Strauss 2004 in den Ruhestand gegangen ist, wird die Schule von Frau Beschnitt mit einem überwiegend neuen Lehrerkollegium geleitet).
Resümee:
100 Jahre Schule im Wandel der Geschichte möglichst ausgewogen in Kürze darzustellen, dabei auch einige Details zur Illustration der Zeit in Erinnerung zu rufen – das ist nicht einfach. Ich bitte deshalb um Nachsicht, wenn das hier oder da nur unzulänglich gelungen sein sollte. Zudem ist jeder, der sich auf ein solches Vorhaben einlässt, auch mehr oder weniger Gefangener seiner persönlichen Sichtweise.
In ihren 100 Jahren hat die Schule Kleinolbersdorf fünf verschiedene gesellschaftliche Epochen durchlaufen: 17 Jahre im Kaiserreich, 14 Jahre in der Weimarer Republik, 12 Jahre im Nationalsozialismus, 45 Jahre Nachkriegszeit und Sozialismus in der DDR und bis jetzt 13 Jahre ( 2013 bereits wieder 23 Jahre ) in der Bundesrepublik Deutschland. Das in der Schule unseren Kindern vermittelte Weltbild hat sich in diesen 100 Jahren mehrfach in dramatischer Weise geändert. Die Schule war immer Spiegelbild des gesellschaftlichen Umfeldes, der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse - und sie wird es immer sein. Alexander von Humboldt hat uns dazu eine Empfehlung hinterlassen:
„Ein jeder trachte danach, dass er sein Weltbild in Ordnung halte!"
In allen genannten Epochen hätte diese Weisheit ein wertvolles Rüstzeug sein können für das Streben nach solidem Wissen und nach moralischen Werten, darunter Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden. Besonders heute, wo wir mit den unterschiedlichsten Informationen förmlich überschüttet werden, kostet es Kraft, sich nicht verwirren zu lassen, nicht korrumpieren oder fanatisieren zu lassen, sich nicht missbrauchen zu lassen und sich am Ende nicht schuldig zu machen.
Wir stehen immer an der Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Vergangenheit, über die wir vieles wissen, an der wir aber nichts mehr ändern können. Und Zukunft, über die wir wenig wissen, die es aber zu gestalten gilt. Da ist es gut, rückwärts zu schauen, um aus Fehlern zu lernen und Bewährtes zu bewahren, damit es für das Heute und Morgen nicht verloren geht. Wer aber rückwärts schaut, um in der Vergangenheit zu leben, wird mit der Gegenwart in Kollision geraten und für das Gestalten der Zukunft mit großen Herausforderungen nicht fähig sein.
An einem Weltbild, das Zukunft haben soll, bauen unsere Kinder und werden schon sehr bald unsere Enkelkinder bauen. Sie sollten gut darauf vorbereitet sein im Zusammenwirken von Elternhaus und Schule. „Elternhaus und Schule" – so nannte sich eine pädagogische Monatszeitschrift in der DDR und brachte es damit auf den Punkt: Nur im konstruktiven Zusammenwirken von Elternhaus und Schule kann eine erfolgreiche Vorbereitung auf die Herausforderungen des Lebens gedeihen. Entsetzliche Ereignisse von Gewalt gegen Lehrer nach der Wende wie am Gymnasium in Erfurt zeigen, dass es auch daran gefehlt hat. Menschen werden vor allem geprägt durch Eltern, Lehrer und das praktische Leben. Deshalb sollten sich Schülerinnen und Schüler bewusst sein, dass sie auch von ihren Lehrerinnen und Lehrern sehr viel Wertvolles für ihr Leben erhalten haben.
Unsere Schule hat in 100 Jahren viele Erfolge aufzuweisen, denn sie hat viele Schülerinnen und Schüler gut auf ihr künftiges Leben vorbereitet. Dafür gebührt ihr Anerkennung und Dank für das in 100 Jahren Geleistete. Unsere besten Wünsche sollen sie begleiten auf ihrem Weg in ihr nächstes Jahrhundert – und dies hoffentlich ohne künftige Existenzkrisen.
Quellenverzeichnis:
(1) Misterek, Hans: Schule in Kleinolbersdorf-Altenhain. Ortschronik Teil II b Seite 2 ff.
(2) Festschrift "750 Jahre Kleinolbersdorf", Seite 17.
(3) Pfarrer Döhler: Jahreschronik der Kirchfahrt Kleinolbersdorf mit Altenhain
1901, Seite 22
(4) Jahreschronik 1901 und mündliche Berichte ehemaliger Schüler bis in die 20er
Jahre (Fiedler Fritz und Elfriede, Richter Elfriede u.a.)
(5) Pleticha, Heinrich: Deutsche Geschichte, Band 10, Bismarck-Reich und
Wilhelminische Zeit 1871 – 1918, Seite 34 ff. Bertelsmann Lexikon Verlag 1993
(6) Haffner, Sebastian: Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. Knaur 1989.
Seiten 85 ff. und 187.
(7) Haffner, Sebastian: Geschichte eines Deutschen. Erinnerungen 1914 – 1933.
Seite 222 ff. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2002.
(8) Kinder, wie die Zeit vergeht. Domino Verlag 2001, Seite 13 ff. (nach Liedtke, Max:
Jugendlust – Geschichte einer Zeitschrift 1876 bis 2001)
(9) Pleticha, Heinrich: Deutsche Geschichte, Band 11, Republik und Diktatur
1918 – 1945, Seite 106. Bertelsmann Lexikon Verlag 1993
(10) Eisenträger, Ilse: Bericht über ihre Schulzeit 1937 - 1945 in Kleinolbersdorf.
Schule Kleinolbersdorf.
(11) Mündlicher Bericht ehemaliger Schüler (Fiedler Fritz und Elfriede u. a.)
(12) Mündlicher Bericht ehemaliger Schüler (Reimann, Karlheinz 1945 - 1953 )
(13) Jäger, Ruth: Bericht: Eine Lehrerin blickt zurück 1948 – 1952.
Schule Kleinolbersdorf.
(14) Heym, Stefan: Rede zur Demonstration am 4. November 1989 auf dem
Alexanderplatz Berlin.