von Karlheinz Reimann,
geschrieben im Januar 2018
Die Geschichte Preußens und des Deutschen Reiches ist auch eine Geschichte von Kriegen, die zu immer furchtbareren Katastrophen für die Menschen und immer größeren Zerstörungen in den betroffenen Ländern geführt haben. Der über Jahre erstarrte Frontverlauf im Ersten Weltkrieg führte zur Herausbildung der westlichen Militärstrategie im Zweiten Weltkrieg. Hieraus entstanden die Pläne zur Zerstörung von 70 deutschen Städten, darunter auch Chemnitz, mit vielen getöteten Zivilisten in der Heimat. Der erste Weltkrieg brach auch aus, weil die Entscheidungsträger das Ausmaß der möglichen Zerstörungen offensichtlich nicht mehr überschauen konnten. Dabei hätten sich, wie Historiker heute meinen, Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. - die Cousins "Willy" und "Nicky" - auch gegen den Krieg entscheiden können.
Kriege Preußens und Deutschlands nach 1850
Preußen – wie andere Länder auch – war nicht ungeübt, Scharmützel und Kriege vom Zaun zu brechen, häufig mit aus heutiger Sicht geradezu lapidaren Anlässen als Kriegsgrund. Meist waren es Eroberungskriege mit Grenzverschiebungen zum Erlangen von Ländereien oder natürlichen Ressourcen. Im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 erlitt Dänemark an den Düppeler Schanzen eine vernichtende Niederlage, wonach das kleine Dänemark auf die Elbherzogtümer Schleswig und Holstein zugunsten Preußens verzichten musste. Heute weiß kaum noch jemand, wie Schleswig-Holstein einst zu Deutschland gekommen ist. Danach führte Preußen1866 Krieg gegen Österreich, in dem die Donaumonarchie in der Schlacht bei Königgrätz in Böhmen den Preußen unterlag. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hatte Frankreich Deutschland den Krieg erklärt, nachdem Bismarck den ursprünglichen Text der „Emser Depesche“ so verkürzt hatte, dass Napoleon III. dies als Provokation nicht akzeptieren wollte oder konnte. Militärisch und politisch herausragend waren die Kapitulation der Franzosen am 2. September 1870 nach der Niederlage bei Sedan, in der auch der französische Kaiser in deutsche Gefangenschaft geriet, und die Ausrufung der Republik in Paris. Der Sieg über Frankreich führte zur Gründung des Deutschen Reiches mit der Krönung von Wilhelm I. als deutscher Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles - eine enorme Demütigung Frankreichs. Nach der Niederlage Frankreichs und dem „Friede von Frankfurt“ im Mai 1871 musste Frankreich das Elsass und Teile Lothringens an Deutschland abtreten und 5 Milliarden Franc Kriegsentschädigung an Deutschland zahlen. Zwar beförderten diese Finanzmittel das wirtschaftliche Aufblühen Deutschlands in den „Gründerjahren“ nach dem Krieg, aber außenpolitisch war dies eine schwere Belastung. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich war für Jahrzehnte vergiftet und feindselig, was später auch für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht ohne Bedeutung war. (1)
In allen diesen Kriegen kämpften Mann gegen Mann und fochten Reiter gegen Reiter. Als Fernwirkungsmittel hatte man Gewehre und Kanonen und als Transportmittel ausschließlich Pferde. An der Front starben hunderte und tausende Väter und Söhne - eine noch überschaubare Zahl - mit kirchlichem Segen für Kaiser und Vaterland, wodurch in der Heimat Familien dezimiert wurden und verarmten. Aber darüber hinaus blieb die Heimat von Zerstörungen durch das Kriegsgeschehen an der Front weitgehend unberührt.
Der Erste Weltkrieg
Besonders in den Jahren nach 1900 war Europa in einer komplizierten Lage, in der durch Krisen und Kriege auf dem Balkan, koloniale Bestrebungen Deutschlands, nationalistische Rivalitäten, gegenseitiges Misstrauen und Fehleinschätzungen in den europäischen Ländern der geringste Anlass zum Ausbruch eines Krieges führen konnte. Dabei unterschätzten die Entscheidungsträger – also Monarchen wie Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. sowie ihre Regierungs- und Militärberater - dass sich über mehrere Jahrzehnte durch die rasante technische und industrielle Entwicklung in den Ländern eine enorm gewachsene Fähigkeit zur verheerenden Vernichtung von Menschen, Material und kulturellen Gütern entwickelt hatte. Zwei Tage vorher hatten „Willy“ und „Nicky“, als Cousins noch verwandtschaftlich freundliche Telegramme ausgetauscht, dann entschied sich der Zar für die weitere Generalmobilmachung, also den Krieg. (2) Man verfügte jetzt im Krieg über Kraftfahrzeuge, Funktechnik, Maschinenwaffen, Flammenwerfer, Trommelfeuer der Artillerie, Giftgas, eine Kriegsmarine mit U-Booten, Flugzeuge auch zum Bombenabwurf und gegen Kriegsende mit den englischen Tanks über erste Panzer zum Einbruch in gegnerische Stellungen. Der Historiker Christopher Clark schreibt 2013: “So gesehen waren die Protagonisten von 1914 Schlafwandler – wachsam, aber blind, von Alpträumen geplagt, aber unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen sollten“. (3) Auch meinen Historiker, aus heutiger Sicht war der Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht zwingend, er hätte auch vermieden werden können.
Am 28. Juni 1914 erschoss ein serbischer Attentäter das österreichische Thronfolgerpaar in Sarajewo. Serbien mit Russland als Schutzmacht aller Slawen im Rücken lehnte das Ultimatum aus Wien zur Aufklärung des Mordes ab und ließ sich auf Krieg mit Österreich-Ungarn ein, und Deutschland hatte Österreich-Ungarn jeglichen Beistand zugesagt. Am 1. August 1914 erklärte Deutschland an Russland den Krieg, am 3. August an Frankreich, am 4. August nach dem Einmarsch Deutschlands in Belgien gemäß dem Schlieffenplan erklärte England Deutschland den Krieg. Europa stand nun in hellen Flammen. Deutschland wähnte sich noch im Siegestaumel von 1870. Der Kaiser rief "Auf zu den Waffen!" und kannte plötzlich keine Parteien mehr. Tatsächlich gab es unter großen Teilen der Bevölkerung und den Soldaten eine Begeisterung für den Krieg gegen den "Erbfeind Frankreich". Mit euphorischen Sprüchen wie „Serbien muss sterben“, „Jeder Stoß ein Franzos“, „Jeder Schuss ein Russ“ fuhr man mit Blümchen am Gewehr an die Front, siegessicher „zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause“.
Im Osten besiegte Hindenburg, den man aus dem Ruhestand geholt und ihm Ludendorff zur Seite gestellt hatte, die auf Ostpreußen vordringenden Russen in der Schlacht bei Tannenberg. Im Westen kam die deutsche Offensive zunächst auf französischem Boden voran, aber bereits im Spätherbst 1914 erstarrte die Front gegen Franzosen und Engländer zu einem erbarmungslosen Stellungskrieg, der sich trotz bis dahin unvorstellbarer Verluste auf beiden Seiten bei geringsten Geländeverschiebungen bis 1918 nicht wesentlich änderte. Erstmals setzte Deutschland am 22. April 1915 bei Ypern Chlorgas ein, durch das 10.000 Franzosen getötet oder verletzt wurden. Durch den Einsatz von noch wirkungsvollerem Giftgas auf beiden Seiten kamen in diesem Krieg 100.000 Menschen zu Tode und 1,2 Millionen wurden verletzt. In der „Hölle von Verdun“ kamen von Februar bis September 1916 eine halbe Million deutsche und französische Soldaten um. Die Entlastungsoffensive an der Somme forderte von Juli bis September 1,2 Millionen Opfer, 700.000 auf alliierter und 500.000 auf deutscher Seite. General Falkenhayn wollte den Franzosen "die Blutpumpe ansetzen", die Soldaten auf deutscher Seite verbluteten aber in gleicher Weise.
Memorial von Verdun. Schier unendlich sind die Gräberfelder, die Beinhäuser angefüllt mit Knochen gefallener Soldaten. Kein Quadratmeter Boden, der nicht von einer Granate umgepflügt worden ist. (Bild: Karlheinz Reimann)
Bedrückend ist auch der Missbrauch religiösen Glaubens und religiöser Gefühle der Soldaten zur Motivation für den Krieg. Auf dem Koppelschloss stand "Gott mit uns", man segnete Heere und Waffen, erbat vom einzigen Herrgott den Sieg über den Feind, oft die Würdenträger der prinzipiell gleichen Kirche, das gleiche Ritual auf beiden Seiten der Front, nur in verschiedenen Sprachen. Das hat nach dem Krieg in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche sehr befördert. Deutschland war in Europa im weiteren Kriegsverlauf immer mehr vom Nachschub an Rohstoffen und Nahrungsmitteln abgeschnitten. Besonders durch die Seeblockade der englischen Flotte wurde die Situation erheblich verschärft. Im Winter 1916/1917 erlebte Deutschland mit dem „Kohlrübenwinter“ eine große Hungersnot. Ludendorff, der immer mehr zu einem Militärdiktator geworden war, erklärte den „totalen Krieg“ mit weiteren Aufopferungen und Einschränkungen für die Menschen in der Heimat. (4) Die USA mit Präsident Wilson, bisher noch nicht im Krieg, unternahmen im Dezember 1916 Vermittlungsversuche zur Beendigung des Krieges, die von Deutschland abgelehnt wurden. Mit dem „totalen Krieg“ und um die englische Seeblockade zu durchbrechen, begannen deutsche U-Boote nun auch amerikanische Schiffe zu versenken. Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg. Im Januar 1918 versuchte Präsident Wilson nochmal mit seinem „14-Punkte-Plan“ einen Versöhnungsfrieden zu erreichen, aber wieder erfolglos. Als 1918 die ausgeblutete französische Front mit hunderttausenden ausgeruhten amerikanischen Truppen und neuem Kriegsmaterial verstärkt worden war und am 8. August erste englische Tanks in deutsche Stellungen einbrachen, sah auch Hindenburg „keine Aussicht mehr, dem Feind den Frieden aufzuzwingen“. (5) In Russland war bereits im Februar 1917 der Zar gestürzt worden und nach der Oktoberrevolution wurde die gesamte Zarenfamilie in Jekaterinburg ermordet. Am 3. März 1918 schloss die neue Regierung Russlands unter der Führung Lenins mit großen territorialen Verlusten mit Deutschland den Frieden von Brest-Litowsk – wieder nicht ohne Bedeutung für das Ende des Zweiten Weltkrieges. Ab September 1918 suchten die auf deutsche Seite stehenden Bündnispartner Bulgarien, Türkei und Österreich bei der Entente um einen Waffenstillstand nach. Das Dreibundland Italien, zunächst im Krieg neutral, war bereits am 23. Mai 1915 auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten, nachdem die Entente nach einem Sieg Italien Südtirol zugesprochen hatte. Am 26. Oktober 1918 verlangte und erhielt Ludendorff vom Kaiser seinen Abschied vom Militär – im Krieg war nun nichts mehr zu retten außer der eigenen Haut. Anfang November meuterten die Matrosen der vor Wilhelmshaven liegenden Hochseeflotte und weigerten sich gegen den Befehl vom 24. Oktober, zu einer Entscheidungsschlacht gegen die englische Flotte auszulaufen. In Kiel verbrüderten sich Arbeiter und Matrosen im Aufstand gegen den Krieg. Am 9. November 1918 wurde in Berlin vom SPD-Politiker Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen – die Geburtsstunde der Weimarer Republik. Am 10. November musste man Wilhelm II. drängen, der als Kaiser abdanken, aber weiterhin König von Preußen bleiben wollte - so verstand er seine Verantwortung für den Krieg - ins Exil nach Holland zu gehen. Am 11. November wurde zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland in Compiègne der Waffenstillstand unterzeichnet. Damit endeten die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges, aber nicht der Kriegszustand. Erst im Mai 1919 wurde mit dem Friedenvertrag zu Versailles der Erste Weltkrieg völkerrechtlich beendet, Deutschland von den Siegermächten die alleinige Schuld für diesen Krieg zugeschrieben und mit sehr weitgehenden Sanktionen belegt. Das fürchterliche Erbe dieses Krieges wurde nun der sozialdemokratisch geführten Regierung in Berlin in die Hände gelegt.
Der Krieg begann mit zwei Todesopfern in Sarajewo. Er endete, wie Christopher Clark schreibt: „Der Konflikt, der in jenem Sommer (1914 K.R.) begann, mobilisierte 65 Millionen Soldaten, brachte drei Reiche zu Fall und forderte 20 Millionen militärische und zivile Todesopfer sowie 21 Millionen Verwundete". (6) Doch überwiegend galt noch immer: Am gefährlichsten war es an der Front. Auch wenn man in der Heimat nicht mehr absolut sicher war, wie der deutsche Luftangriff auf London am 13. Juni 1917 gezeigt hat, bei dem bereits 600 zivile Todesopfer, darunter 46 Kinder einer Schule zu beklagen waren. (7)
Anmerkungen:
(1) Udo Haupt: Reaktion und Neuordnung, aus Pleticha (Herausgeb.) Deutsche Geschichte,
Band 9, Seite 264 ff. Bertelsmann Gütersloh 1993
(2) Christpher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog.
Die "Willy-Nicky-Telegramme", Seite 655 ff. Deutsche Verlags Anstalt
München 2013
(3) Ebenda Seite 718
(4) Roland Vocke: Der Erste Weltkrieg, aus Pleticha (Herausgeb.) Deutsche Geschichte,
Band 10, Seite 281 ff. Bertelmann Gütersloh 1993
(5) Ebenda Seite 306
(6) Christopher Clark: Die Schlafwandler. Seite 9
(7) Uwe Fiedler: Code-Name "Blackfin" in Chemnitzer Erinnerungen 1945 Teil III
Seite 30. Verlag Heimatland Sachsen GmbH 2006