von Elfriede und Karlheinz Reimann,

geschrieben im Juli 2007, aktualisiert im Dezember 2016

 

Im Frühsommer 2007 erfüllten wir uns den lange gehegten Wunsch einer Reise nach Amerika. Gemeinsam mit unseren Freunden Monika und Horst Hübl sollte das "alte", das klassische Amerika, der Osten der USA und von Kanada unser Ziel  sein. Die beiden hatten ein gutes Jahr vorher bereits den Westen der USA kennengelernt, waren von daher Erfahrungsträger. Uns Männer verbindet über fast drei Jahrzehnte  die Arbeit in Forschung und Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung und als Hobby der Amateurfunk. Seit 1998 haben wir mehrere Reisen gemeinsam unternommen, weil wir auch sonst viele Ansichten teilen.

Wir in Europa neigen dazu, die "Leuchttürme" in den USA, die Spitzenleistungen der Eliteuniversitäten in Wissenschaft, Technik und Medizin zu verallgemeinern und als das generelle Niveau des Landes anzusehen. Aber es gibt auch die "andere Seite" von Amerika. Die USA sind ein tief gespaltenes Land, nicht nur gespalten in Demokraten und Republikaner, sondern auch in Schwarz und Weiß, in arm und reich. Bildung und soziale Sicherheit sind ein teures Gut und deshalb für viele nicht zu erlangen. Die Medien haben einen enormen Einfluss auf das Verhalten der Menschen und Wahlergebnisse sind oft schwer vorhersehbar, noch dazu durch das amerikanische Wahlsystem. Amerikanische Verhältnisse in Europa wären für viele von uns nicht akzeptabel oder sehr gewöhnungsbedürftig. Andererseits haben wahrscheinlich viele Amerikaner nur verschwommene Vorstellungen von Europa, wie wir in gelegentlichen Gesprächen erfahren konnten.

Die Fülle der Eindrücke und Informationen auf dieser Reise haben uns regelrecht zugeschüttet. Bei einem derart ausgefüllten Programm lernt man "sehr viel Land" kennen, dagegen bleibt für Kontakte und das Kennenlernen von Menschen nur sehr wenig Gelegenheit und Zeit. Wieder zu Hause angekommen, waren wir ewig müde von der Informationsflut und vom Jetlag. Aber die Reise war für uns ein unvergessliches Erlebnis.

 

Unsere „Traumreise USA/Kanada“, gebucht bei einem Reisebüro in Chemnitz, begann am 16. Mai 2007 mit dem Flug von Dresden nach München und von da um 16:00 Uhr über 6.500km in achteinhalb Stunden mit einem Airbus A340-600 nach New York. Beim Flug mit der Sonne und sechs Stunden Zeitverschiebung nimmt der Tag kein Ende. So sind wir mit Verspätung gegen 21:00 Uhr Local Time auf JFK gelandet. An der Gepäckausgabe lagen von unserem Flug etwa 25 durch die TSA (Transportation Security Administration) aufgebrochene und nun unbrauchbare Koffer – ihre Eigentümer hatten sie entgegen der Reiseinstruktion verschlossen. Die akribischen Einreisekontrollen gestalteten sich in endloser Warteschlange zum Verzweifeln langsam. Fast zwei Stunden haben wir angestanden, ohne dass dies Anlass zur Beschleunigung gewesen wäre. Auch unser Officer Mr. Lehman hatte für jeden etwa 10 Minuten Zeit zum freundlichen Plaudern: "Wie geht es Ihnen, wo kommen Sie her, wo wollen Sie hin, was haben Sie vor, was machen Sie zu Hause beruflich …"  Dann wurde vom ernsten Gesicht ein Digifoto gemacht, von jedem Zeigefinger ein digitaler Abdruck genommen und endlich der Pass gestempelt. "Thank you. You’re welcome. Have a nice stay in the United States of America". Erst gegen 23.00 Uhr empfing uns unsere Reiseleiterin Kerstin aus dem Erzgebirge, die seit 14 Jahren in Florida lebt. Sie und der farbige Busdriver brachten uns fast ohne Stau in einstündiger Busfahrt mit ersten Informationen und musikalischen Klängen wie „New York, New York“ oder „Ich war noch niemals in New York …“ durch das Lichtermeer der Stadt und durch einen der großen Tunnel nach Manhattan zum altehrwürdigen Hotel Excelsior am Ende des Central Park nahe Harlem.

New York, Ellis Island und Miss Liberty              (Bild: Karlheinz Reimann)

Nach dem Ausschlafen am Donnerstagmorgen und einem reichhaltigen amerikanischen Frühstück im Hotel ist New York City, bestehend aus den Stadtteilen Manhattan, Brooklyn, Queens, Staten Island und der Bronx, 56km lang und 30km breit, mit etwa 8 Millionen Einwohnern, das erste große Erlebnis: Stadtrundfahrt in Manhattan mit Gabi, einer deutschen Newyorkerin. Ein Spaziergang im 4km langen und 500m breiten Central Park, der „grünen Lunge“ von Manhattan, mal gärtnerisch gestaltet, mal naturnaher Wald mit Hügeln aus dem Granitgestein. Weiter geht die Fahrt zum Broadway, Time Square, Chinatown, Wall Street, Battery Park, Ground Zero. Die Baustelle Ground Zero ist alles, was von den Twin Towers und 3.000 Toten nach dem islamistischen Terroranschlag vom 11. September 2001 geblieben ist. Am Nachmittag gelangen wir zu Fuß auf der 34th Street zur Anlegestelle der Circle Line – wer läuft, sieht mehr, als wer fährt! Nachmittags dann eine Bootsfahrt mit der Circle Line auf dem Hudson River und dem East River entlang der Skyline von Manhattan, vorbei an der Einwandererinsel Ellis Island und Miss Liberty, durch die Brooklyn Bridge, Manhattan Bridge, Williamsburg Bridge und wieder zurück. Danach riskieren wir einen weiteren ausgedehnten Fußmarsch zum Empire State Building, um nach Gepäckkontrolle und Leibesvisitation vom 86. Stockwerk auf die Stadt zu schauen.

Blick vom Empire State Building auf Manhatten   (Bild: Karlheinz Reimann)

Blick vom Empire State Building auf Manhatten, schräg der Broadway      (Bild: K. Reimann)

Am Ende unserer  Kondition werden wir gemeinsam mit Hübls für die letzten Kilometer zum Hotel ein Taxi nehmen. Verlaufen kann man sich in Manhattan durch die schachbrettartige Anordnung von Avenues und Streets mit ihren Nummern eigentlich nicht, die einzige schräge Straße ist der Broadway. Für die kulturellen Highlights, von denen New York City so unendlich viel zu bieten hat, bleibt auf solcher Reise natürlich keine Zeit. Vieles haben wir gehört und gesehen und nun einen Begriff vor Augen, aber es war nur eine Stippvisite in dieser Riesenstadt. Ziemlich ermattet fallen wir ins Bett und teilen uns mehr oder weniger gut die gemeinsame Bettdecke.

New York, auf dem Broadway am Time Square         (Bild: Karlheinz Reimann)

New York, abends auf dem Broadway      (Bild: Karlheinz Reimann)

Am nächsten Tag geht es mit einem komfortablen Reisebus und unserem sehr netten farbigen Busdriver Nate über 370km entlang des Long Island Sound weiter durch die Neuenglandstaaten Connecticut und Massachusetts nach Boston. Kerstin spielt uns auf der Fahrt stets die Hymne des jeweils erreichten Staates und versorgt uns mit vielen historischen, kulturellen und sonstigen Informationen. Leider regnet es hier von Mittag an „Schnürl“, wie die Bayern sagen. Wir haben uns für 10 Dollar Guthaben eine Telefonkarte gekauft, die Vermittlungsprozedur gelernt und können von einem Telefon im Freien unterm Regenschirm zu in Deutschland nicht nachtschlafender Zeit unserem Sohn Andreas unsere glückliche Ankunft in Amerika vermelden. Nach dem entschlossenen Stadtspaziergang durch Boston sieht mancher aus wie geduscht. Der vorgesehene Ausblick vom 50. Stockwerk des Prudential-Gebäudes fällt da natürlich aus. Am Highway gelegen erreichen wir 35km nördlich von Boston unser Hotel Wyndham.

Am Sonnabend lautet das Tagesziel nach 620km Quebec. Durch die Neuenglandstaaten New Hampshire, Maine und Vermont erreichen wir über Concord, Plymouth und mit einer Rast in der Provinzkleinstadt Littelton am Nachmittag bei Newport die Grenze USA/Kanada. Die Passkontrolle der kanadischen Officer-Lady im Grenzhäuschen ist recht gewissenhaft, aber freundlich und ohne Problem. Nur unser Nate muss eine Art Tiefenprüfung über sich ergehen lassen, erst nach einiger Zeit darf er sich wieder hinters Steuer setzen.

Reiseleiterin Kerstin, Busdriver Nate und Elfriede          (Bild: Horst Hübl)


Weiter geht die Fahrt auf der Autobahn über Sherbrooke, Victoriaville und Villeroy durch Kanada. Über die große Brücke über den St.-Lawrence-Strom kommen wir am Nachmittag nach Quebec in unser Hotel Gouverneur außerhalb des Stadtzentrums. Mit einem Spaziergang und einem langen Warten auf unser Essen im benachbarten Steakhouse – wohl die Konsequenz, weil wir uns ohne „platziert zu werden“ gesetzt hatten – geht der Tag zu Ende. Hier ist vor allem Französisch angesagt. Englisch mehr aushilfsweise, um den Touristen etwas zu verkaufen. Am nächsten Sonntagmorgen nach dem Frühstück dann eine Stadtrundfahrt mit Silke. Quebec ist mit 700.000 Einwohnern eine sehr saubere, überschaubare Stadt mit nur wenigen Hochhäusern, die durch eine verspielte französische Architektur mit unzähligen Säulen, Türmchen und Gaupen sowohl an kleinen Häusern als auch an repräsentativen Gebäuden geprägt ist. Dominierend überragt der schlossartige, rote Steinbau des Hotel Le Chateau Frontenac mit seinem Grünspandach die Altstadt. Vom Hügel der Zitadelle hat man einen weiten Blick auf den St.-Lawrence-Strom, in der Ferne die große Stahlbrücke, über die wir gekommen sind. Es gibt hier lange und schlimme Winter mit sechs Metern Schnee und minus 30 bis 40 Grad Celsius. Viel Historie erfahren wir, wie die Quebecer den Engländern nie vergessen haben, dass sie mit ihren Schiffen den breiten St. Lawrence heraufkamen und 1759 in einer Schlacht von nur 20 Minuten die Franzosen besiegt und unterworfen haben, weshalb noch heute alle Autokennzeichen der Provinz Quebec die Aufschrift tragen „Je me souviens“ (Ich erinnere mich). Ein Stündchen bummeln wir noch allein durch die Stadt, und vor dem wieder einsetzenden Regen flüchten wir in der reizvollen Rue du Petite in ein kleines Cafè. Zu unserer Freude plaudert der Besitzer aus dem Elsass, dessen Mutter in Ostpreußen zu Hause war, mit uns in Deutsch. Am Mittag steigen wir wieder in den Bus für die Weiterfahrt nach Montreal, das wir am späten Nachmittag erreichen. Diesmal befindet sich unser Best Western Hotel Ville Marie direkt im Stadtzentrum. Am Abend gibt es noch eine kleine Stadtrundfahrt und unterm Regenschirm einen Spaziergang durch die Altstadt. Als Souvenir finden wir in einer Boutique für indianische Kunst unser Mandella, das uns künftig als „Glücksbringer“ in unserem Wohnzimmer an die Reise erinnern soll. In einem Geschäft hängt ein Plakat mit dem Porträt von Bush sen., darunter steht „dumb“ (doof, blöd), daneben das von Bush jun. und darunter „dumper“ (doofer, blöder). Volkes Stimme in Kanada? Später fahren wir noch zur Wallfahrtskirche und haben vom Berg einen Blick auf die Lichter der Stadt. Unser Bargeld an kanadischen Dollars ist ziemlich geschrumpft. Kerstin zeigt uns, wie man in Montreal mit der Sparkassen-Card aus Chemnitz an der Money Machine, dem Geldautomaten im Hotel (Menü französisch oder englisch) wieder zu Canadian Dollars kommt. Es funktioniert sogar mit ausgeworfener Quittung und zu erstaunlich niedrigen Gebühren von nur 2,50 CAD, die zudem nach Deutschland nicht durchgereicht worden sind.

Am Montagmorgen ist der Himmel wieder blau und wolkenlos. Vom Hotelfenster blicken wir in der Morgensonne auf den Mont Royal, den Berg, dem die Stadt ihren Namen verdankt. Der Tag beginnt mit einer Stadtrundfahrt mit Regina. Montreal mit 3,6 Millionen Einwohnern ist noch stark gallisch geprägt, zwei Drittel der Montrealer sprechen Französisch als Muttersprache, aber Englisch ist hier auch selbstverständlich. In den Glasfassaden der Hochhäuser von Banken und Konzernen zeichnen sich interessante Spiegelbilder, aber unweit davon gibt es ein Chinatown, das sich abgeschottet und einer kanadischen Amerikanisierung erfolgreich widersetzt hat. Obwohl Montreal auf der geografischen Höhe von Mailand liegt, sind  die Sommer hier heiß und schwül, aber die Winter schneereich und bitterkalt. Montreals Entgegnung auf den Winter ist die Ville Souterrain, eine wetterfeste unterirdische Stadt mit Passagen und Galerien von 30km Länge mit 200 Restaurants, 50 Banken, 40 Kinos, Theatern und Konzertsälen und 2000 Läden im klimatisierten Underground. Nur einen winzigen Teil davon konnten wir in Augenschein nehmen. Am Vormittag dann beginnt unsere Exkursion in das 200km entfernte Ottawa, die Hauptstadt Kanadas mit 1,2 Millionen Einwohnern. Entfernungen haben hier einen anderen Stellenwert als bei uns in Deutschland. Die Mittagspause verbringen wir im Zentrum von Ottawa, Zeit um in einem Schnellrestaurant zu essen und in der Ladenstraße am Markt für das Abendbrot vorzusorgen – auch einkaufen in Kanada will gelernt sein. Vom Treff am indianischen Totempfahl gelangen wir zu Fuß durch die Stadt auf den Parlamentshügel hoch über dem Südufer des Ottawa River. Der prunkvolle neogotische Parlamentsbau mit dem freistehenden Turm wurde 1859 begonnen, nachdem die englische Königin Victoria die Hoffnungen von Quebec und Toronto, Hauptstadt zu werden, beendet hatte, indem sie das damals abgelegene Holzfällercamp Bytown zur Hauptstadt von Kanada bestimmte und so ein „Westminster in der Wildnis“ entstand. Heute ist ein reges Volksfesttreiben auf der ausgedehnten Grünfläche vor dem Parlament. In Amerika darf man die Grünflächen in den Städten jederzeit betreten und benutzen – und zuweilen sehen sie auch entsprechend strapaziert aus. Am Nachmittag besuchen wir noch das 1989 eröffnete Canadian Museum of Civilization, ein Gebäude spektakulärer Architektur mit ausgezeichneten Sammlungen der Indianer- und Inuitkulturen, aber auch der Pionierzeit der Besiedelung Kanadas durch die Europäer. Dann geht es zurück nach Montreal, wo uns noch ein wenig Zeit bleibt für einen individuellen Abendbummel in den unterirdischen Passagen.



Ottawa, das Parlamentsgebäude mit freistehendem Turm   (Bild: Karlheinz Reimann)

Am Dienstag verlassen wir Montreal, um nach 550km am Nachmittag Toronto zu erreichen. Zunächst fahren wir entlang des St. Lawrence und kommen am Vormittag in das Seengebiet der Thousand Islands. Viele größere und kleinere Inseln, von denen manche auf ihrer Granitkuppe nur Platz für eine kleine Hütte bieten, liegen hier am Abfluss des St. Lawrence in den Ontariosee. Ontario – glitzerndes Wasser, so nannten die Indianer die Region zwischen den großen Seen und der Hudson Bay. Bei einer Bootsfahrt durch die Tausend Inseln erleben wir ein Landschaftsbild, das an die Schären in Skandinavien erinnert.

 

Tausend Inseln. Die Brücke ist die kürzeste Verbindung zwischen USA (links) und Kanada (rechts)   (Bild: Karlheinz Reimann)


Weiter geht die Fahrt über Belleville und Port Hope entlang des Lake Ontario nach Toronto – indianisch Sammelplatz. Im Zentrum der so sauberen Stadt mit 5,2 Millionen Einwohnern sind traditionelle und moderne Gebäude vereint, steht nahe dem alten der moderne Rundbau des neuen Rathauses, spiegeln sich die Glastürme der Hochfinanz und der internationalen Gesellschaften. Sie ist aber auch eine Stadt der Verlage und der Kultur. Ringsum gibt es eine Mixtur ethnischer Viertel, unter denen Chinatown wieder das dominierende ist. Torontos Wahrzeichen ist der CN-Tower (Canadian National Tower) mit seinen 533m Höhe. Mit rasanter, aber kaum spürbarer Geschwindigkeit bringt uns der Lift in einer Minute auf die Aussichtsplattform mit Glasboden in 447m Höhe. Als die Schatten der Abendsonne länger werden, haben wir von hier oben einen beeindruckenden Rundumblick auf die Stadt und die Umgebung mit dem Ontariosee. Etwas außerhalb der Stadt erreichen wir später unser Hotel Carlingview. Das nächtliche Gezerre um die gemeinsame Bettdecke liegt lange schon hinter uns, wir haben jetzt immer zwei Einzelbetten im Nichtraucherzimmer, letzteres aber zweimal erst problemlos nach erbetenem Zimmertausch.

Am Mittwoch sind wir gespannt auf einen Höhepunkt der Reise – die Niagarafälle. Wir fahren wieder nahe am Ufer des Lake Ontario entlang bis zur Touristenstadt Niagara Falls auf der kanadischen Seite. Kerstin und Nate spannen uns in kleinen Schritten ein wenig auf die Folter: Zuerst zeigen sie in tiefer Schlucht das gefallene Wasser, den Zufluss zum Ontariosee, dann einen Überblick von der hohen Uferstraße aus auf die beiden Wasserfälle, den amerikanischen und den kanadischen. Unter den American Falls, 323m breit und 56m tief mit der Geröllhalde bis in halbe Höhe hatte sich mancher wohl etwas mehr vorgestellt. Beeindruckender sind dagegen die kanadischen Horseshoe Falls (Hufeisenfälle), die sich in weitem Bogen 670m im Halbrund spannen, bei denen das Wasser in voller Höhe herunterstürzt und die Gischt hoch aufsteigt. Auf einen 12-Minuten-Flug mit dem Helikopter für 99 USD pro Nase verzichten wir. Die Bootstouren mit der Maid of the Mist (Jungfrau des Nebels) für 16 USD zum Fuß der donnernden Wassermassen im blauen Cape sind ein feuchtes, aber grandioses Erlebnis. Das Rauschen und Donnern des Wassers ist in der ganzen Stadt zu hören, eines der größten Naturschauspiele Nordamerikas, umgeben von Gartenanlagen und Parks, umtost vom Rummel für die unzähligen Touristen. Auf der Straße zu den Fällen sind amerikanischer Klamauk und Kitsch angesiedelt ohne Ende. Ganz in der Nähe liegt unser Hotel Skyline Inn.

Die Niagarafälle, links der amerikanische und rechts der kanadische   (Bild: Horst Hübl)

Am Donnerstag haben wir die längste Tagesfahrt über 720km von Niagara Falls nach Washington D.C. (District of Columbia) vor uns und starten möglichst bald nach dem Frühstück. Die Wiedereinreise in die USA mit Passkontrolle im Bus verläuft locker. Als erstes fahren wir an Buffalo vorbei, und Kerstin bringt uns die aus der Schulzeit bekannte Ballade Fontanes „Die Schwalbe fliegt über den Eriesee …“ wieder in Erinnerung. Weiter geht es durch das Gebiet der Finger Lakes, vorbei an Corning, Williamsport, lange Zeit entlang des flachen Susquehanna River, Harrisburg und Baltimore nach Washington D.C. am Potomac River. Unser Hotel Holliday Inn liegt diesmal wieder etwas außerhalb, für weitere Unternehmungen besteht heute kein Bedarf mehr.

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Horst, Moni, Elfriede und Karlheinz vor dem Capitol in Washington  (Bild: Karlheinz Reimann) 

In Washington, der Bundeshauptstadt der USA und dem Zentrum der Macht, ist es bei bestem Sommerwetter spürbar wärmer und vormittags noch angenehm, aber nach Mittag heiß und schwitzig. Besonders der Temperaturwechsel zwischen klimatisierten Innenräumen und der Hitze im Freien macht uns zu schaffen. Unsere Stadtbesichtigung mit Gabriela beginnt mit dem berühmtesten Friedhof der USA, dem Arlington National Cemetery. Hier sind 200.000 Nationalhelden, berühmte Politiker, am meisten jedoch gefallene Soldaten bestattet. Eine Ruhestätte ist es nicht, denn Tag für Tag erleben der Friedhof und vor allem die Gräber der ermordeten Brüder John F. (vielleicht die Rache von Fidel Castro für die vielen Mordversuche der Amerikaner?) und Robert Kennedy große Besucherströme von Touristen und Schulklassen in ihrer Schulkleidung, die in den allgegenwärtigen gelben Schulbussen kostenlos - weil aus Steuern finanziert – überall hin gefahren werden. Wir besichtigen die Denkmäler für die amerikanischen Gefallenen des Koreakrieges und die 58.000 Opfer des Vietnamkrieges, deren Namen in riesige schwarze Granittafeln eingraviert sind (heute weiß man, dass darunter auch Namen von in Gefangenschaft Überlebenden, aber von der amerikanischen Administration für tot erklärten Vermissten aufgeführt sind). Am Rande des Friedhofes ist auf den Gehweg gesprayt: BUSH = LIER (Lügner), auch hier Stimme des Volkes? Später stehen wir am Eisenzaun des Weißen Hauses - hier entsteht das Gruppenbild unserer Reisegruppe – und gehen weiter zum Lincoln Memorial. Von den oberen Stufen, die zum Gebäude des Denkmals im Stil eines griechischen Tempels führen, hat man einen guten Blick auf den 170m hohen Obelisk des Washington Monument, das zum Gedenken an den ersten Präsidenten von Amerika errichtet worden ist. Hier oben, wo Martin Luther King 1963 seine berühmteste Rede vor 25.000 Zuschauern gehalten hat, sind auch seine Worte in den Granitfußboden gemeißelt „ I have a Dream …“ (Ich habe einen Traum…), aber ermordet wurde er 1968 in Memphis. Der Nachmittag steht uns zur freien Verfügung. Nach dem Besuch einer Cafeteria laufen wir zum Old Post Office und haben von seinem 100m hohen Turm einen tollen Ausblick auf die Stadt und das Capitol, den Sitz von Senat und Repräsentantenhaus. Uns Männer interessiert danach vor allem das National Air and Space Museum. Vom klapprigen Motorflugzeug der Gebrüder Wright bis hin zur Mondlandefähre von Apollo11 und dem Mondgestein, das die Besatzung mitbrachte, ist hier alles zu finden, was mit Luft- und Raumfahrt zu tun hat. Auch Spuren deutscher Technik findet man wieder: Am Hallenhimmel hängen eine zweimotorige Wellblech-Junkers der American Airline, offensichtlich ein Vorläufer der legendären deutschen JU-52, und eine Flügelbombe V1, daneben steht das Aggregat A4 aus Peenemünde.

Deutsche Flügelbombe V1 aus Peenemünde 1945 im National Air and Spacce Museum in Washington  (Bild: Karlheinz Reimann)

Hier kann man auch durch den engen Raum des Himmelslabors Skylab gehen oder das amerikanisch-sowjetische Kopplungsprojekt Apollo-Sojus betrachten. Die Frauen haben das Besichtigungsprogramm verkürzt und genießen in einer Sitzecke die angenehme Temperatur im Gebäude. In schwüler Hitze laufen wir später vorbei am Capitol zur Union Station, einem Bahnhof mit viel Markt und nur noch wenigen Zügen. Hier trifft sich die Reisegruppe zum Abendessen, um danach noch ein etwas weniger geglücktes Abendprogramm mit Ludwina Hall (82, da sollte etwas Respekt vor dem Alter gebührlich sein) aus Ostpreußen zum Theodore Roosevelt Memorial und zum John F. Kennedy Center, dem Kulturzentrum Washingtons für Theater, Konzert, Film und Vorträge zu unternehmen. Von seiner Terrasse mit einem Blick auf den nächtlichen Potomac River verabschieden wir uns von Washington.

Amish People unterwegs    (Bild: Horst Hübl)

Am Sonnabend fahren wir ins Pennsylvania Dutch Country und die Region um Lancaster. Hier leben 27.000 Amish People und Mennoniten von insgesamt 650.000 in den USA, die vor 250 Jahren nach religiöser Verfolgung aus Rheinischer Gegend in Deutschland und der Schweiz ausgewandert sind. Sie leben noch heute nach strengen Regeln in ihren Familien weitgehend wie im 18. Jahrhundert, kleiden sich so und prägen die Landschaft mit ihren Pferdekutschen oder durch vorwiegend manuelle Feldarbeit, weil sie moderne Technik überwiegend ablehnen. In einem Museum erhalten wir Einblick in die Wohn- und Lebensverhältnisse der fleißigen und erfolgreichen Bauern und Viehzüchter, die als überzeugte Pazifisten auch keinen Wehrdienst leisten. Am frühen Nachmittag erreichen wir nach 300km Philadelphia mit 1,7 Millionen Einwohnern. Bei einer Rundfahrt und Spaziergängen lernen wir das Zentrum kennen, sehen die Freiheitsglocke, das National Constitution Center, die Münzprägeanstalt der USA, die United States Mint. Philadelphia ist eine Industriestadt mit bedeutender Geschichte: Hier diskutierten Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und George Washington über den Bruch mit dem englischen Mutterland. In der Independence Hall wurde am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung verabschiedet. Die Stadt hat einen hohen Anteil an farbiger und jüdischer Bevölkerung. Von unserem Hotel Hampton Inn unweit des etwas schmuddeligen Chinatown, wo die Straßenschilder auch chinesisch beschriftet sind, laufen wir am Sonntagvormittag bei schwüler Hitze noch einmal ins Stadtzentrum und über die arg angerostete Benjamin Franklin Bridge den breiten Delaware-Fluss entlang. Es gäbe auch hier so manches zu restaurieren. Kriegsveteranen haben anlässlich des bevorstehenden Memorial Day die Parkfläche vor dem National Constituion Center in einen improvisierten Friedhof „Arlington North“ umgestaltet und erinnern an die bisher 3.450 im Irak gefallenen und vermissten Soldaten, darunter sehr viele ganz junge Männer und Frauen. Der Name Bush hat für immer mehr Amerikaner keinen guten Ruf mehr.

Am Sonntagmittag bringen uns Kerstin und Nate zum Flughafen Philadelphia. Am Abend beginnt der Heimflug der Sonne entgegen nach Frankfurt/Main, wo wir nach siebeneinhalb Stunden Flug am Montagmorgen ankommen. Die Kontrolle bei der Einreise ins EU-Land und für den Anschlussflug nach Leipzig ist fast noch schärfer als in den USA, hier werden auch die Schuhe durchleuchtet – der bevorstehende G8-Gipfel in Heiligendamm lässt grüßen. Auf dem Rückflug wurde auch unser Koffer durchsucht und darüber ein Mitteilungsblatt der TSA eingelegt. Vermutlich haben beim Durchleuchten die drei kleinen Flaschen Ahornsirup aus Kanada ausgesehen wie Handgranaten. Wir haben damit kein Problem, es ist alles korrekt und ohne Schaden verlaufen, denn unser Gepäck war nicht verschlossen. Safety first! Am Mittag sind wir ziemlich ermüdet und ermattet nach einer sehr informativen, aber auch strapaziösen Erlebnis- und Bildungsreise wieder glücklich und gern zu Hause angekommen. Einmal sehen ist besser als hundertmal hören, lautet ein russisches Sprichwort. Wohl wahr. Erholung und Verarbeitung nach einer Reise, von der wir noch lange Zeit zehren werden, können beginnen.