von Karlheinz Reimann,

geschrieben im Februar 2015

Die „alte Merkelfabrik“ war als herausragendes Bauwerk immer ein Blickfang in Altenhain, einem kleinen Dorf am südöstlichen Stadtrand von Chemnitz. Herausragend, weil der nun fast 200 Jahre alte und sieben Stockwerke hohe Industriebau, in idyllischer Umgebung am Eingang zum Sternmühlental gelegen, als Kulturdenkmal Stil und Stolz sächsischen Unternehmertums verkörperte. Mancher Hobbymaler hat mit diesem repräsentativen Gebäude sein Motiv gefunden.

Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert, durch die nun auch in kleineren Dörfern Fabriken entstanden, war ohne ein motorisiertes Verkehrswesen das Entstehen von fußläufig erreichbaren Arbeitsplätzen für die ländliche Bevölkerung von großer Bedeutung. Während der Bombenangriffe im Februar/März 1945 auf Chemnitz haben Einwohner von Altenhain im tiefen Keller der Merkelfabrik Schutz gefunden. In den Jahren nach dem Krieg war für uns Kinder das Baden und Schwimmen in Merkels Teich oft ein großes Vergnügen während der Sommerferien.

Nach der Wende stand die Fabrik über fast zwei Jahrzehnte leer und war dem Verfall preisgegeben. Niemand konnte sich vorstellen, dass dieses Kulturdenkmal jemals gerettet werden kann. Die grundhafte Sanierung des Gebäudes und die Revitalisierung durch ein innovatives Unternehmen seit Ende 2014 sind ein Glücksfall in der Historie der traditionsreichen „alten Merkelfabrik“ des Chemnitzer Ortsteiles Kleinolbersdorf-Altenhain.



Zur Geschichte der Merkelfabrik
In Altenhain hat es ehemals zwei Spinnmühlen gegeben. Eine obere Spinnmühle befand sich am heutigen Wohnhaus Altenhainer Dorfstraße 44 (1). Von ihr sind wahrscheinlich noch die Teiche an der Straße unterhalb des Rathauses geblieben. Die untere Spinnmühle war die „Hößlersche Spinnmühle“ und wurde später zur Merkelschen Möbelfabrik. Der heutige Eigentümer, die imk automotive GmbH, hat dazu folgende Historie erforscht:

„Der Lehngutbesitzer und Lehnrichter von Altenhain, Johann August Hößler, beauftragte Anfang des 19. Jahrhunderts den Altenhainer Fabrik- und Kirchenbaumeister Christian Friedrich Uhlig (1774 – 1848), eine wasserbetriebene Spinnmühle zu erbauen.

Diese Baumwollmaschinenspinnerei, auch „Hößlersche Spinnmühle“ genannt, wurde 1821 vom Baumeister errichtet. Zum Betrieb der Spinnerei wurde ein Nebenflüsschen des Dorfbaches (aber auch das Wasser aus dem Tal von Kleinolbersdorf her, K.R.) in Teichen angestaut. Im Keller des Gebäudes befand sich ein Wasserrad, und von der Radkammer aus wurde die Kraft durch Löcher in den Böden direkt zu den Spinnmaschinen in den oberen Stockwerken übertragen.

Im Jahr 1880 gründete Friedrich Eduard Lohr eine Firma und baute bis 1890 die untere Spinnmühle zur Möbelfabrik um. Die Firma fertigte Gestelle für Stühle, Sessel, Sofas und auch Tische. Ernst Merkel, der Schwiegersohn von Eduard Lohr, übernahm die Fabrik kurze Zeit später.

Dessen Söhne Martin und Konrad führten die Fabrik weiter. In der DDR wurde sie 1960 zunächst halbstaatlich als „Ernst Merkel KG“ und 1973 vollständig enteignet zum „VEB Gestellbau“ umgewandelt.

Die Treuhand übernahm die Fabrik 1990, die Produktion musste eingestellt und der Betrieb stillgelegt werden. Familie Merkel erhielt ihren Besitz 1994 zurück. Im Oktober 2000 verkaufte die Erbengemeinschaft den Fabrikkomplex an die Chemnitzer GIB GmbH. Diese plante eine Sanierung und Umnutzung des Kulturdenkmals zu Wohnzwecken. Seit 2002 stand das Grundstück mit dem Fabrikgebäude zum Verkauf.

Das Gebäude ist entsprechend §2 Sächsisches Denkmalschutzgesetz (SächsDSchG) als Kulturdenkmal erfasst. Das öffentliche Interesse an diesem Objekt basiert auf seiner stadtgeschichtlichen, baugeschichtlichen und industriegeschichtlichen Bedeutung. Die untere Spinnmühle gehört zu den letzten, noch erhaltenen Spinnmühlen des sächsischen Baumeisters Christian Friedrich Uhlig. Sie ist somit Zeugnis der frühen Industriebauten Sachsens und bereits in der topografischen Karte von 1821 eingezeichnet.“ (2)

 

DJI00678rDas grundhaft sanierte Gebäude im Herbst 2014     (Bild:  imk automotive GmbH,  hier mit freundlicher Genehmigung derselben)

DSCI0882rModernste Arbeitsplätze sind hier entstanden  (Bild: Karlheinz Reimann, mit freundlicher Genehmigung von imk automotive GmbH)

 
Die Sanierung des Kulturdenkmals
Der Zustand des Gebäudes im Jahr 2011 war marode und entmutigend. Doch der Chemnitzer Unternehmer Dr. Jens Trepte, Geschäftsführer der imk automotive GmbH, der seit einigen Jahren auch hier in Kleinolbersdorf wohnt, ließ sich nicht entmutigen. Er fasste den unternehmerischen Entschluss, das Gebäude mit Fingerspitzengefühl und Traditionsbewusstsein zu sanieren und danach als Forschungs- und Entwicklungsstandort zu nutzen. Dabei sollte der Solitärcharakter des alten Mühlengebäudes auch künftig erhalten bleiben.

Zunächst mussten Bausicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, denn an Teilen des Gebäudes bestand bereits Einsturzgefahr. Im Spätherbst 2012 konnten dann die Baumaßnahmen am maroden Baudenkmal beginnen. In 24 Monaten wurde der 1820 errichtete Fabrikbau der 2. Generation der Industriearchitektur mit 3,5 Millionen Euro vollständig saniert. Der bautechnische Aufwand war enorm: 331.310 Mauerwerksinjektionen wurden durchgeführt, 71.000 Mauerwerksnadeln, 55 Tonnen Bewehrungsstahl in Betonteilen und 180 Edelstahlanker zur Sicherung der Außenwandpfeiler wurden eingebracht. 20.300m Kabel, davon 4.400m Datenkabel, und 9.430m Rohre für Trinkwasser, Abwasser, Lüftung und Heizung wurden verlegt. Besonders markant und schützenswert waren dabei u.a. das Mischmauerwerk aus Hilbersdorfer Porphyr, lokalen Feldsteinen und Ziegeln, die Gewölbe und Holzbalkendecken und das im unteren Teil abknickende Mansarddach. Das Dach hat auf 525m2 eine rote Biberschwanzeindeckung erhalten. Die Fronten der Mansardfenster wurden mit 120m2 Außenwandverkleidung aus gehobelter Lärche neu gestaltet. Durch das hohe Mansarddach steht das Gebäude in der Tradition barocker Bürgerhäuser. Auf 1.205m2 Nutzfläche, davon 670m2 Büro-, Beratungs- und Schulungsräume, entstand so die neue Denkfabrik der imk automotive GmbH.

Gefördert wurde das Investitionsprojekt zu etwa einem Drittel vom Freistaat Sachsen und der Europäischen Union. Den Rest hat das Unternehmen selbst aufgebracht. Da stellt sich die Frage: Hätte man nicht einfacher und kostengünstiger etwas Neues bauen können? „Wir verdienen Geld durch geistig-schöpferische Leistung. Die herrliche Landschaft und eben das moderne Gebäude in historischer Hülle sind ganz bewusst gewählt. In Kombination mit dem umgesetzten offenen, transparenten und kommunikativen Einrichtungskonzept hoffen wir Inspiration und Kreativität für unser Geschäft ganz erheblich fördern zu können. Bisher waren wir zentrumsnah im Wirkbau untergebracht. Aber wenn man wächst, braucht man größere Flächen“, sagte Dr. Jens Trepte. (3)

„Die imk automotive steht für Zukunftstechnologie aus Chemnitz und zeigt mit dem Umzug in die alte Spinnmühle ihre Verwurzelung mit der Region ... Dass sie sich für die räumliche Vergrößerung ein historisches Gebäude in Chemnitz gewählt hat, erfordert Mut und Weitsicht. Die behutsam sanierte Spinnmühle kann sich als Unternehmenssitz wirklich sehen lassen“, fügte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig vom Gebäude beeindruckt zum offiziellen Festakt am 10. Dezember 2014 hinzu.

 IMK049rDie "alte Merkelfabrik" wurde in 24 Monaten grundhaft saniert  (Bild: imk automotive GmbH, hier mit freundlicher Genehmigung von imk)

 

Über das Unternehmen
Die imk automotive GmbH steht für Industriekompetenz aus Chemnitz, ist seit über 12 Jahren im Markt etabliert, beschäftigt knapp 50 Mitarbeiter und befindet sich auf Wachstumskurs. Sie ist eine Denkfabrik für branchenübergreifende Beratungs- und Ingenieurdienstleistungen, die in einer sehr frühen Phase Produkte und Fertigungsprozesse für Kunden in der gesamten Welt, besonders für die Automobilproduktion, entwickelt. Dazu gehören die Entwicklung von Produkten (z.B. Autokarosserien, Faserverbundwerkstoffe und elektromechanische Kleinantriebe), die Entwicklung und Optimierung von Fertigungsprozessen, die Entwicklung von produkt- und produktionsspezifischer Software, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung sowie Schulung und Training von Kunden für neu entwickelte Verfahren.

Am „Tag der offenen Tür“ am 13. Dezember 2014 konnten sich die Einwohner von Kleinolbersdorf-Altenhain und Chemnitz augenscheinlich davon überzeugen, dass in dem noch vor kurzer Zeit maroden Gebäude modernste Arbeitsplätze entstanden sind. Mit dem Einzug eines innovativen Unternehmens in dieses traditionsreiche Baudenkmal hat auch neben bereits hier etablierten kleinen Unternehmen das Informationszeitalter in erweitertem Umfang Einzug gehalten in unseren dörflichen Ortsteil Kleinolbersdorf-Altenhain. In der Tat: Eine fantastische Verbindung von Tradition und Moderne.

Anmerkungen:

(1)   Vgl. Misterek, Hans „Am Rande des schönen Sternmühlentales – die Gemeinde                       Kleinolbersdorf-Altenhain“, Amtsblatt des Mittleren Erzgebirges 3/94 Seite 4

(2)    Vgl. imk automotive GmbH, „Die Geschichte der Merkelfabrik“

(3)    Vgl. DIE STADT BIN ICH, “Macher der Woche“, Amtsblatt Chemnitz 17. Dezember 2014